Grote, P
Quere kam.
VV war eine Aktiengesellschaft. Der ehemalige Fußballer, Gheorghe Popescu, der in Italien, in Spanien und bei Hannover 96 gespielt hatte, sowie der Mehrheitsaktionär vom Fußballclub Universitatea, Gigi Net¸oiu, hatten hier ihr Geld angelegt. Das Rebland war gepachtet, denn die alten Besitzer wollten nicht verkaufen und waren auch nicht bereit, ihre Trauben für dreißig Cent pro Kilo abzuliefern. Es musste eine Sisyphusarbeit gewesen sein, die Ländereien bei der vorherrschenden Zerstückelung zusammenzukriegen, aus den Flicken einen Teppich zu knüpfen – aber als Martin erfuhr, dass in den Kellern Wein lagerte, der lange vor der Wende gekeltert worden war, änderte sich seine Ansicht. Teubner hatte erwähnt, dass es hilfreich gewesen war, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen zu sein, das nötige Geld in der Hand gehabt zu haben und die richtigen Stempel. Die Funktionäre von damals hatten alle Bedingungen erfüllt. Sämtliche Anlagen, fünfundzwanzig Kelterstationen sowie fünfundneunzig Prozent aller Weinberge, die sich jetzt im Besitz von VV befanden, hatten zuvor dem Staat gehört. Das war die andere Version. Der Wein war als Bulkware verkauft worden, in Tankwagen, auf den nationalen und den internationalen Märkten, als Grundwein für billige Sekte oder Spezialabfüllungen auch in Deutschland. Martin hatte das dumme Gefühl, viel zu spät unterwegs zu sein. Die Spielkarten waren längst ausgeteilt, und die Asse steckten im Ärmel. Aber er fragte sich, wie lange diese Unternehmen am Leben bleiben würden, er wusste nichts über ihre Rentabilität, über Preisgestaltung, Rendite und Marktchancen. Darüber würde er hier keine Auskunft bekommen.
»Die französische Supermarktkette Carrefour verlangte von uns zehntausend Euro, nur damit wir unsere Weine in ihre Regale stellen durften«, hatte der Kellermeister der Kooperative erklärt. »Bei Metro/Real mussten wir zu den Geschäftseröffnungen eine von drei Flaschen gratis liefern, andernfalls hätten sie unsere Weine nicht aufgenommen.«
Wieder erstaunten Martin die Ausmaße dieser Kellerei: Zweitausendeinhundert Hektar kontrollierten sie, aufgeteilt in sechzehn Viticultural Farms oder Profit-/Kostencenter. Achthundertachzigtausend Hektoliter wurden so pro Jahr mit Zukäufen gekeltert. Auf die Verkostung dieser Weine war er gespannt.
»Der weiße Sąrba von 2005 hat mir gefallen«, meinte Simion abends im Hotel beim Essen, wo sie über die Ereignisse des Tages sprachen. »Recht frisch und spritzig, ganz angenehm in der Säure, ich habe mir ›grasig‹, ›aromatisch‹ und ›Duft weißer Blüten‹ notiert.« Der Amerikaner schaute auf den Zettel mit seinen Notizen. »Der Grasă hingegen war hin, der hatte Kork, unverständlich, dass die uns so etwas anbieten. Haben die das beim Öffnen nicht gemerkt?«
Martin staunte, er selbst war zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen, auf jeden Fall in Bezug auf den Grasă. »Und was halten Sie von dem Tămâioasǎ Românească?«
»Das war der Beste von allen.«
»Das war heute nicht Ihre erste Verkostung«, vermutete Martin, denn auch hier teilte er die Ansicht des Amerikaners.
Der lachte selbstgefällig und war sich seines Urteils sicher. »Ich sagte Ihnen doch, ich bin Weinliebhaber. Und das bedeutet, dass man sich damit beschäftigt. Meinen Weinkeller zu Hause in Georgia sollten Sie sehen . . .«
Martin war auf die Roten gespannt gewesen, ob einer darunter war, der dem Zodiac nahe kam. Aber der Fetească Neagră war zu leicht gewesen, obwohl er von dreißig Jahre alten Reben stammte, außerdem war der Holzgeschmack der Barrique (oder der Eichenspäne?) im Vordergrund. Auf den Pinot Noir hatte er sich gefreut, doch leider war der Medium Dry von 2004 eine Enttäuschung, er schmeckte nach Bretanomyces-Hefen, was für ihn ein Zeichen von Unsauberkeit war, mochte auch mancher Weinliebhaber den Geruch von Sattelleder oder Pferdeställen sehr schätzen.»Da beißt man doch lieber gleich in ein richtiges Pferd«, frotzelte Simion und hob sein Bierglas.
Auf halbem Weg zum Mund hielt Martin inne und schaute in die Ecke des Speisesaals vor dem Fenster. Am Tisch dort saßen ein Mann und eine Frau und stritten. Obwohl beide sich bemühten, leise zu sein, nahm nach und nach der gesamte Speisesaal Anteil an der zischend geführten Auseinandersetzung. Auch die Kellner konnten nicht umhin, dem ungleichen Paar neugierige Blicke zuzuwerfen. Die Frau war eine dunkelhaarige Schönheit, ihr
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