Grote, P
sich zu ihm an den Tisch setzte und nach Teubner fragte. »Er ist einfach weg. Er sagte, dass es wegen seiner Familie sei, eine kranke Mutter, um die er sich kümmern müsse.«
Simion gab sich keine Mühe, seine Befriedigung zu verbergen. »Lassen Sie es dabei bewenden. Die Rumänen sind sowieso unzuverlässig wie alle Levantiner, diese ganzen Mischvölker zwischen Orient und Abendland, falsch und unzuverlässig. Mit den Winzern können wir auch allein reden, dazu brauchen wir ihn nicht.«
»Wir? Wieso wir?«
»Sie meine ich natürlich, Sie!«, korrigierte er sich rasch. »Sie schaffen das allein.«
Das Misstrauen kommt selten mit einem Schlag, es kommt leise, es schleicht sich ein und macht sich breit, infiziert zuerst die Gefühle, dann die Gedanken. Martin betrachtete Simion, der Rührei und Bacon mit Messer und Gabel aß. Er hatte oft gesehen, dass Amerikaner nur mit einer Hand die Gabel führten und den linken Arm auf die Beine stützten. Er dachte daran, dass seinem Gegenüber die Gesellschaft Teubners von Anfang an missfallen hatte, und ihm kam der Gedanke, dass Simion die Schläger bezahlt haben könnte, um Teubner zu vertreiben. Aber wozu? Nein, es war zu weit hergeholt. Das mit den Levantinern hatte ihm auch nicht gefallen, er kannte kaum ein gemischteres Volk als die Nordamerikaner, das war völliger Mischmasch. Die Art, wie Simion es gesagt hatte, war unschön.
»Erzählen Sie mir von Vietnam, Marc! Wann und wielange waren Sie dort?« Martin musste mehr über ihn erfahren, sich ein klareres Bild von ihm machen und dann sehen, ob er seine Gesellschaft weiter genießen wollte oder ob sie ihm unerträglich war. In dem Fall würde er sich auf der Stelle von dem Amerikaner trennen.
»Vietnam? Wann sind Sie geboren?«
»Was hat das damit zu tun?«
»Um richtig davon zu erzählen, muss man wissen, welche Bilder Sie im Kopf haben, welche Vorinformationen, wie die Feindpropaganda bei Ihnen gewirkt hat. Der Krieg hat eine ganze Generation bewegt, sowohl bei uns wie auch in Europa, womöglich auch Ihre Eltern, und selbst in Südamerika haben die Kommunisten gegen uns demonstriert.«
»Wohl nicht nur Kommunisten . . .«
»Sehen Sie? Genau das meine ich. Was wissen Sie überhaupt davon? Sie waren damals ein kleiner Junge von – zehn, fünfzehn Jahren vielleicht?«
»In etwa ... ich bin Jahrgang 1963 . . .«
»Na also, dann wissen Sie nichts! 1973 sind wir abgezogen worden und haben das Land den kommunistischen Terroristen vor die Füße geworfen. Vietcong hat man sie hochtrabend genannt, dabei waren das Mörder, Terroristen, die haben sogar ihre andersdenkenden Landsleute umgebracht, wie im Irak, wie in Afghanistan. Amerika fehlte der Wille zum Sieg. Das war die Schuld der Heimat, der Kommunisten in den USA wie Joan Baez und Bob Dylan, die Hunderttausende mit ihren Songs eingelullt haben. Die Anti-Kriegsbewegung hat uns das Rückgrat gebrochen, in Verbindung mit Black Power. Die Schwarzen, die Frauenbewegung, hinter allem steckte Moskau ... und wenn man Russland heute betrachtet, hat man den Eindruck, der KGB ist noch immer an der Macht – das ist er auch, Expräsident Putin ist einer von ihnen und sein Ziehkind Medwedew auch. Putin hat bei euch früher in Ostdeutschland als KG B-Agent die Strippen gezogen. Eiskalt. So jemanden bezeichnete Ihr ehemaligerBundeskanzler Schröder als seinen persönlichen Freund? Unglaublich.« Simion war ehrlich entsetzt. »Betrachten Sie Putins Gesicht: keine Regung, die kalte, undurchdringliche Maske der Macht. Wenn wir euch Europäern nicht auf die Finger sehen, macht ihr einen Fehler nach dem anderen. Eure Energieabhängigkeit ist der Ausverkauf der europäischen Interessen.«
»Das interessiert mich weniger«, unterbrach Martin den Vortrag – als wenn die USA jemals europäische Interessen gewürdigt hätten. Außerdem waren ideologische Betrachtungen von Kriegsveteranen meist von traumatischen Erlebnissen, Geschichtsklitterung und Heldenepen geprägt, jeder ehemalige Soldat bastelte sich seine private Ilias. »Was haben Sie konkret gemacht, ich meine, in welcher Waffengattung haben Sie gekämpft, was war Ihr Dienstgrad?« Martin wollte es konkret wissen; nicht im Allgemeinen, sondern im Besonderen machten die Leute Fehler. Außerdem erinnerte er sich an die Bilder im Fernsehen damals, die Bombardierung im Urwald, das Grauen, das ihn als Kind beschlichen hatte, die Angst vor Hubschraubern, besonders vor dem Lärm, den sie machten. In seiner Familie, obwohl er
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