Grote, P
seinem Traktor aus der Wiese, allein wären sie nicht herausgekommen, die Reifen hatten durchgedreht. Sie würden zu spät zur Verabredung auf dem Weingut kommen, doch Martin scheute sich, schnell zu fahren, nur sehr langsam erholte er sich von dem Schock, die Beinahe-Kollision hatte ihn dünnhäutig gemacht. Glücklicherweise schwieg Ana Cristina, seit sie wieder auf der Landstraße waren, und Martin konnte in Ruhe das Hügelland betrachten. Es brachte ihn ganz allmählich auf andere Gedanken. Aber die Angst blieb, die Angst vor einer Gefahr aus dem Nichts, und er dachte an die Polizei im Hotelflur und an Sofia.
Die Moldau, zu der das Weinbaugebiet von Cotnari gehörte, war der Lage und des Klimas wegen nicht sonderlich für den Weinbau geeignet. Die Region lag in etwa auf dem Breitengrad des Rheingaus, hier sanken im Winter die Temperaturen bis weit unter den Gefrierpunkt, und die Sommer waren auch nicht besonders heiß. Den Ausgleich schuf der früh und mild beginnende Frühling, und der Herbst wartete bis in den Oktober mit hohen Temperaturen auf. Dadurch ergab sich eine lange Reifeperiode, was sich sehr gut auf die Trauben auswirkte. Im neunzehnten Jahrhundert hatte ein Franzose behauptet, dass die Weine aus Cotnari »zu den besten der Welt« zählten, aber Martin gab wenig auf die selbst ernannten Weinpäpste à la Parker und Konsorten. Wer wollte beurteilen, was das Beste war?
Eine andere Stimme verbreitete, dass die großen rumänischen Weine mit denen aus Bordeaux vergleichbar waren. Es war eine Anmaßung in Bezug auf das, was er bislang probiert hatte. Wäre es so gewesen, dann würden diese Weine längst auf den westeuropäischen Märkten gehandelt. Außerdem war er nicht in Rumänien, um Weine zu probieren, die den Bordelaiser ähnlich waren, sondern landestypischeGewächse. Etwas Vergleichbares zum Zodiac hatte sich bislang nicht einmal in Ansätzen gezeigt, aber er sah sich erst am Anfang.
Wein war zuerst das Ergebnis von Weinstock, Boden, Klima, Bearbeitungsmethode und Erntemenge. Im Keller konnte man den Wein zwar versauen, ihn jedoch keinen Deut besser machen. Lediglich Fehler ließen sich oberflächlich kaschieren. Dann kam die Lagerung im Eichenfass, wenn die Trauben dafür die nötige Kraft mitbrachten, und die Flaschenreife als Abschluss. Unter zweieinhalb Jahren verließ kein Wein seine kleine Kellerei. Was er im Jahr 2006 geerntet hatte, kam frühestens 2009 auf den Markt. Am besten blieb der Pechant dann noch einmal so lange liegen, möglichst dunkel und kühl. Mit dem Wein von seinem neuen Weingarten würde er anders verfahren, der würde früher trinkreif sein. Er bemerkte, dass er schon wieder an seine Arbeit zu Haus dachtee, statt diese hier zu erledigen.
»Erzählen Sie mir was von Cotnari«, sagte er zu seiner schweigsamen Begleiterin, die seit dem Ausflug in die Wiese verängstigt und konfus wirkte, als wäre bei ihr im Kopf etwas durcheinandergeraten. Manchmal half es, die Mitmenschen zu fordern, damit sie sich wieder auf sich selbst besannen. Den sicheren Tod so kurz vor sich gehabt zu haben ging natürlich an Martin nicht spurlos vorbei, doch ihm half sein leichtes Phlegma, das sich auch in anderen Situationen positiv bemerkbar gemacht hatte.
Er fuhr Schritt, vor ihm hatte sich eine Fahrzeugschlange gebildet, und als eine weite Rechtskurve die Sicht freigab, erkannte er den Grund dafür. Weit vor ihnen war ein Treck unterwegs, eine Karawane von Pferdewagen.
»Zigeuner«, sagte Ana Cristina abfällig, »auch ein Grund, dass Rumänien nicht vorankommt und wir so rückständig bleiben. Die wollen nicht arbeiten, die wollen nichts lernen, sich nicht integrieren, aber alles haben!«
Eine Reihe von Franzosen und Deutschen, die Martinkannte, dachten ähnlich, und er seufzte still vor sich hin. Sich zu Ana Cristinas Ansichten zu äußern wäre dumm gewesen, einen Menschen, der so dachte, überzeugte man nicht mit Argumenten. Womit dann, fragte er sich? Was soll man mit den Leuten machen?
»Am besten, sie wandern aus – nach Italien. Sollen die Italiener sich mit ihnen rumärgern oder die in Brüssel, die haben so viele überzeugende Integrationsprogramme und Anti-Diskriminierungsgesetze. Da werden sie sich wundern, wen sie sich ins Land holen.«
»Manouches« nannte man die Sinti und Roma in Frankreich, auch da gab es Menschen mit ähnlichen Ansichten wie die seiner Beifahrerin.
»Erzählen Sie mir was von Cotnari«, wiederholte er und übte sich hinter der Kolonne in
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