Grote, P
Martin gleichgültig gewesen, zumal sie hervorragend Französisch und auch Englisch sprach. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart unfrei.
Rasch setzte er sich darüber hinweg und konzentrierte sich auf die Reihe schlanker Flaschen vor ihnen. Die Feuchtigkeit kondensierte an der Oberfläche, feine Perlen liefen am Glas herunter.
Sie probierten zuerst den Frâncuşă, einen trockenen, frischen und sogar spritzigen Wein, der ihn an die Semillion-Traube erinnerte und damit an die klaren und schlichten Gewächse aus Entre-deux-Mers. Er hielt sein Urteil zurück, kommentierte nichts, hörte eigentlich gar nicht auf die Erklärungen, um sich nicht verwirren zu lassen, und probierte. Der zweite Wein hieß Château Cotnari, eine Cuvée aus einheimischen Sorten. Der Wein war dicht, intensiv und vielschichtig. Aber ein »önologisches Kunstwerk«, wie am Tisch behauptet wurde, war er nicht. Der dritte fiel bei ihm völlig durch. Da schmeckte er saure Drops, Rhabarber und etwas Gemüse raus, es war ein vierteltrockener Wein und damit sowieso nicht sein Geschmack. Dafür hatte der Wein einen langen Nachklang, auf den Martin jedoch gut verzichten konnte.
Der Grasă de Cotnari 2000 sollte in die Richtung eines edelfaulen Süßweins gehen. Er hatte ungeheuer viel Zucker angesammelt, hatte eine wunderschöne Farbe – aber dem Wein fehlte die Tiefe, von den Aromen her kein Vergleich mit einem Sauternes oder einem Ruster Ausbruch vom Neusiedler See, obwohl der Grasă auch aus edelfaulen Trauben gekeltert war, bei denen der Botrytis-Pilz die Beerenhaut durchlöchert hatte und das Wasser verdunstet war. So hatten die Trauben Geschmacksstoffe und Zucker konzentrieren können. Das für Botrytis-Weine typische Aroma erinnerte an Bienenwachs, hier ließen sich Rosinen erahnen,auch Mandeln, aber es war eine Melange, eine undefinierbare Mischung, eher gefühlt als gerochen, da war die Nummer fünf der Probe, der Tămâioasă Românească leider nicht viel besser. Und Martin, der die ganze Zeit zum Verdruss seiner Gastgeber geschwiegen hatte, verlangte nach einem älteren Wein.
Es war kompliziert, in der Nähe ein Hotel mit drei Einzelzimmern zu bekommen. Ana Cristina gelang das fast Unmögliche, obwohl Simion am liebsten ein Doppelzimmer mit ihr bezogen hätte. Noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichten sie den einsam gelegenen Hotelneubau an der Landstraße nach Iaşi. Das ruhigste Zimmer, im dritten Stock nach hinten gelegen, beanspruchte Martin für sich. Wenn die Rumänen lärmten, sollten sie auch darunter leiden.
Im Hotelrestaurant und auf der verglasten Terrasse davor tobte ein Fest. Nach einer Mischung aus arabischen Klängen und Techno-Rap wurde getanzt und die Vorderfront beschallt. Simion störte das wenig, wenn sein Zimmer nur nahe genug an dem von Ana Cristina gelegen war. Was dachte der Mann sich dabei? Er war penetrant, außerdem hatte er bei ihr nicht die geringste Chance. War er zu blind, das zu sehen?
Martin trug sein Gepäck in den dritten Stock, seine Begleiter logierten ein Stockwerk tiefer. Er zog Jogginganzug und Laufschuhe an und nahm bereits die Treppe im Laufschritt. Er wollte raus, er fühlte sich wie eingesperrt. Links neben dem Hotel führte ein asphaltierter Weg in die Felder, der kurz danach in Schotter überging. Hier vorn, in der Ebene längs der Straße, war es flach, das Getreide war noch grün, auf der anderen Seite des Wegs wuchsen Kartoffeln, weiter links spross der Mais. Dann kam eine Wiese mit hohem Gras und einigen Pferden. Sie war nicht eingezäunt, was Martin zuerst auf Geldmangel zurückgeführt hatte – bis er bemerkte, dass die Pferde angehobbelt waren. Bei anderen führte ein Strick vom Halfter zu einem der Hinterbeine,was die Tiere am Traben und Galoppieren hinderte. Anhobbeln war das Wort, er hatte es bei Karl May gelesen, und Martin lächelte bei dem Gedanken, auf welche Weise man das – im übertragenen Sinn – mit Menschen machen müsste. Es war einfach. Man musste ihnen nur so viel Besitz oder Angst vor dem Verlust desselben ans Bein binden, ihnen so viel Arbeit aufhalsen, bis sie stehen blieben. Oder man überschüttete sie derart mit fremden Ideen, dass für eigene kein Platz mehr blieb. Mit den Gedanken war es wie mit den Dingen: Man musste wissen, was man wirklich brauchte.
Es war gut zu laufen, er ließ Simion und Ana Cristina hinter sich. Martin machte sich Sorgen, er fühlte sich verantwortlich. Luciens politische Ansichten klangen ihm nach wie vor im Ohr – aber Sofia
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