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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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kurz darauf zitterte er vor Kälte. Sie folgten ihren Begleitern in die endlosen Kellergänge mit Hunderten von Holzfässern – es war erbärmlich kalt. Martin war wie seine Führer die Temperaturen gewohnt.
    Von einem etwa zehn Meter unter der Erde liegenden Hauptgang zweigten rechts zahllose Nebengänge ab. Ein wenig erhöht lagen darin, in zwei Reihen übereinander, die fünfhundert bis zweitausend Liter fassenden Fässer. Cotnaris Weißweine lagerten hier für zwei, drei oder gar zehnJahre im Holz. Die Weinbautradition dieser Region reichte bis ins vierzehnte Jahrhundert zurück, und in einem Dokument aus dem folgenden Jahrhundert wurde ein hiesiger Wein als der teuerste überhaupt aufgeführt, wie Ana Cristina erklärte.
    »Die Süßweine aus Cotnari werden in einem Atemzug mit denen aus dem französischen Sauternes genannt, mit dem ungarischen Tokaier, dem Ruster Ausbruch vom Neusiedler See oder einer Trockenbeerenauslese von der Mosel.«
    Martin empfand den Vergleich als vermessen, er hatte nie von Cotnari gehört, bevor er seinen Fuß in dieses Land gesetzt hatte, und er war ziemlich viel herumgekommen. Oder war es eine Sache für Süßweinspezialisten? Umso spannender würde die Verkostung sein. Vielleicht stimmte es ja, ihm fiel es nicht schwer, sein Urteil zu revidieren. Er ahnte, dass er in dieser Weißweingegend die Erde, die ein Zodiac brauchte, auch nicht finden würde.
    Die Holzfässer, obwohl bereits in die Jahre gekommen, waren in bestem Zustand, zumindest von außen; innen waren sicher alle Poren längst vom Weinstein zugesetzt, wenn sie nicht regelmäßig mit einem Hochdruckwasserstrahl gereinigt und danach geschwefelt wurden. Das war durchaus denkbar, wo sogar der Betonboden in den Gängen lackiert war und blitzsauber gehalten wurde. Die Räume waren gut belüftet, es war keine Spur von Muff oder gar Fäulnis wahrzunehmen. Diese Kellerei wurde mustergültig geführt, doch was nutzte die größte Umsicht, wenn die Weine das nicht widerspiegelten? Und es machte Martin nervös, dass sich ihm der Eindruck aufdrängte, dass Ana Cristina sich mehr mit ihren Begleitern unterhielt, als dass sie ihm wortgetreu das Gesagte übersetzte. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte sich radebrechend auf Englisch unterhalten, denn jetzt redete Simion auch noch dazwischen. Es lag Martin fern, ihm den Mund zu verbieten oder ihm Anweisungen zu geben. Weder hatte er das in seinemWeinladen nötig gehabt noch erforderte es der Umgang mit den Menschen, die ihm bei der Lese und danach in seiner Garage halfen. Wenn er so freundlich war, Simion mitzunehmen, und Ana Cristina bezahlte, konnte er ein gewisses Einfühlungsvermögen erwarten. Aber Erwartungen erfüllten sich selten.
    Er verkniff sich eine Zurechtweisung, dafür beobachtete er Ana Cristina umso intensiver. Sie hatte etwas Herrisches an sich, etwas Herablassendes, als wäre sie der Ansicht, dass ihre Gesprächspartner unter ihr stünden. Martin zwang sich zu seinem vielfach auf Messen erprobten Dauerlächeln, so merkte ihm niemand seinen Unmut an.
    Die letzte Station, bevor sie wieder an die Erdoberfläche traten, war die Vinothek oder der Friedhof, wie die Spanier das Flaschenlager nannten, ein hundertzwanzig Meter langer Gang, an dem auf beiden Seiten Tausende von Flaschen bis unter die Decke gestapelt waren.
    Ana Cristina und Simion zeigten sich beeindruckt, aber einer ihrer Begleiter erklärte einschränkend: »Jenseits der Grenze, in Moldawien, in der Kellerei Cricova, existiert das größte Kellersystem der Welt. Das Labyrinth bedeckt eine Fläche von dreiundfünfzig Hektar mit sechzig Kilometer langen Gängen.«
    Wozu das Ganze?, fragte sich Martin, als sie ans Tageslicht traten und er blinzeln musste, die Sonnenstrahlen fielen flach durch das Fenster des Verkostungssaals und spielten als bunte Reflexe auf dem glänzenden Tisch. Er fragte sich das immer häufiger, der Aufwand war künstlich, wurde nur um seinetwegen betrieben. Jetzt, nach dem Wechsel vom Dunkel ins Tageslicht sah Martin deutlich, was ihn an der Dolmetscherin störte: Sie war eine Spur zu feminin, eine Spur zu sehr geschminkt, etwas zu betont angezogen, sie lachte ein wenig zu laut über die Scherze der Männer, sie lächelte zu dankbar, wenn man ihr die Tür aufhielt, und sie war zu aufreizend die Treppe hinaufgestiegen. Ihr fehlteDiskretion. Sie war nicht das, was sie vorgab zu sein, sie war nicht echt, sie gab sich, sie spielte. Wenn sie gewissenhafter übersetzt hätte, wäre es

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