Grote, P
Sektflasche, bog den Draht auf und ließ den Korken knallen. »Das gefällt Ihnen?«, fragte er provokant, und Ana Cristina strahlte ihn an.
Sie ging zum Nachttisch, nahm den Radiowecker in die Hand, sah aufs Zifferblatt und stellte ihn zurück. Dabei drehte sie ihn in Richtung Tisch. Sie schaute auf ihre kleine goldene Armbanduhr und stellte die Zeiger ein. »Meine Uhr geht immer etwas vor . . .«
»Ja, heutzutage geht alles so schnell, da ist es nicht leicht, sich in der richtigen Zeit zu bewegen, die Zeichen der Zeit zu erkennen – und den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen. Manchmal ist man zu schnell, ein andermal zu langsam.«
»Sie sagen es. Ich glaube zu wissen, wann die Zeit reif ist.« Ihr Augenaufschlag zeigte, was sie meinte. »Man darf seltene Gelegenheiten nicht ungenutzt lassen.
Carpe diem,
sagten die Lateiner, nutze den Tag.«
»Oder die Nacht? Sie sprechen auch Latein?«
»Sie unterschätzen mich, Herr Bongers, ach, eigentlich finde ich Martin viel schöner, und wenn Sie mich Ana Cristina nennen würden ... Nun schenken Sie endlich den Sekt ein, er wird sonst warm.«
»Mache ich gern, wenn Sie mir etwas aus Ihrem Leben erzählen, wo Sie aufgewachsen sind, wo Ihr technischer Sachverstand herrührt. Nein, Ana Cristina, ich unterschätze Sie keinesfalls. Jemand, der einer solch anspruchsvollen Aufgabe gewachsen ist wie Sie, eine Frau, die mehrere Sprachen spricht – da gehört der entsprechende Bildungshintergrund dazu.«
Martin schenkte ein, Ana Cristina, geschmeichelt, setzte sich, zündete sich eine Zigarette an und schlug die Beine übereinander, der Saum des Kleides rutschte weit über die Knie. Sie trug auch keine Strümpfe.
Als sie anstießen, was Martin besonders bei den stumpf klingenden Sektgläsern hasste, beugte sie sich weit zu ihm und sah ihm in die Augen.
In dieser Sekunde hatte er das Theater satt, das Versteckspiel ödete ihn an, er stand auf. »Ich habe ein Geschenk für Sie«, sagte er ernst und ging zum Schrank.
»Für mich? Wie aufmerksam. Sonst bekomme ich die Geschenke meiner Klienten immer erst am Ende der gemeinsamen Arbeit.«
»Warten Sie’s ab«, knurrte Martin kaum hörbar und kam mit einer Schachtel wieder. Das goldene Geschenkpapier und die rote Schleife hatte ihm die Hotelbesitzerin gegeben.
Ana Cristina lächelte ihn erwartungsvoll an und streckte die Hand nach dem Geschenk aus. Zuerst zog sie die Schleife ab und hielt sie kurz an ihr Kleid. »Wie aufmerksam, sogar die Farbe passt.«
»Das, was drin ist, auch«, Martin strahlte sie an, er war auf ihr Gesicht gespannt, wenn sie den Inhalt der Schachtel sah. Seine Erwartung wurde nicht enttäuscht.
Selten hatte er ein Gesicht gesehen, in dem der Ausdruck freudiger Erwartung so radikal in den von hilflosem Unverständnis und dann in Entsetzen überging, bis der Hass davon Besitz ergriff und sich Angst einstellte. Sie sah zu Martin hin, der laut auflachte, obwohl ihm jetzt nicht mehr danach zumute war, dann schaute sie in Richtung Radiowecker.
»Die Idee ist nicht schlecht«, sagte Martin. »Stammt sie von Ihnen? Der Radiowecker ist unauffällig, er ist die ideale Energiequelle, er ist groß genug, um die Kamera, das Mikrofon und den kleinen Sender aufzunehmen. Der Radiowecker war vorhin nicht da, das Zimmermädchen hätte ihn hingestellt haben können, aber dass Sie im Zimmer waren, habe ich gerochen. Auf Ihr Wohl, Ana Cristina. Es stimmt, der Sekt ist ganz gut, perlt schön, aber wie ich sehe, ist Ihnen nicht gut . . .«
Ana Cristina saß vornübergebeugt, hatte den Rocksaum über die Knie gezogen, die Ellenbogen darauf gestützt und hielt sich die Hände vor die Augen.
Martin glaubte nicht, dass sie sich schämte. Wahrscheinlich kannte sie das Wort nicht einmal. Sie dachte darüber nach, wie sie dieser Situation für sich positiv wenden oder ungeschoren bleiben konnte.
»Was zahlt Ihnen Tudor Dragos für den Job? Aber, ich kann Sie beruhigen, es interessiert mich nicht wirklich. Ich will davon nichts wissen, ich bin kein Agent, der Sie jetzt umdreht und auf Dragos ansetzt. Und kommen Sie mir bloß nicht mit melodramatischen Storys von der kranken Mutter, für die Sie das tun, weil Sie ja so arm sind. Auch in diesem Land wird es Leute geben, die sich nicht verkaufen. Erinnern Sie sich an den Bauern, der uns aus der Wiese rausgezogen hat? Der wollte dafür nicht einmal Geld haben und hat uns noch bei sich zu Hause zum Essen eingeladen.«
»Aber Martin . . .«
»Für Sie bleibe ich lieber Herr
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