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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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Geld.
    Sie trug ein rotes, knielanges Kleid, das metallisch schimmerte. Frauen liebten das Glitzern. Sanft fiel es an ihrem Körper herab, sie wusste es zu tragen und sich darin zu bewegen. Nein, sie wusste es nicht, es war wieder eine Spur zu dick aufgetragen, zu auffällig, und der Ausschnitt, gerafft wie bei einer Toga, war zu tief. Über ihrem Busen baumelte wieder das große goldene Kreuz, ein dickes Armband am Handgelenk. Ana Cristina hatte ihn beklauen wollen, und hier spielte sie die Dame.
    Zu allem Übel berichtete Simion weiter von seinen Kirchenbesuchen.Geradezu zwangsläufig kamen sie auf die orthodoxe Lehre zu sprechen, die »rechtgläubige«. Demnach war jeder Andersdenkende auf dem falschen Weg. Intoleranz, Verachtung und Krieg kamen dabei heraus. Gleichgültig ob es sich um Christen, Moslems, Hindus oder Juden handelte, alle anderen waren auf dem falschen Weg, gehörten nicht zu den Auserwählten.
    Allein war Simion ganz gut zu ertragen, aber in Ana Cristinas Gesellschaft spreizte er sich wie ein Pfau, er wirkte nur eitel und angeberisch mit den Tiraden, wie er seine Kirchengemeinde zu Hause in Georgia unterstützte. Martin beschäftigte sich verzweifelt mit der Weinkarte, heute würde er sich betrinken, der Druck, der sich aus der Anwesenheit seiner beiden Reisegenossen ergab, war für ihn kaum auszuhalten. Er beendete das Kirchenthema auf weltliche Weise, indem er sich von Ana Cristina die Speisekarte übersetzen ließ. Das brachte alle wieder auf den Boden, und Martin verlangte vorweg einen
pălincă,
einen doppelten hochprozentigen Pflaumenschnaps. Der Weißwein zur Hühnersuppe kam aus Cotnari, er hatte den Frâncuşă bestellt, den er als gut trinkbar in Erinnerung hatte.
    Er starrte auf seinen Teller, beteiligte sich kaum am Gespräch, während Simion die Suppe zwar mit dem Löffel verschlang, Ana Cristina jedoch mit den Augen. Es störte sie nicht im Mindesten, und immer wieder versuchte sie, Martin ins Gespräch zu ziehen. Als er sich mit Kopfschmerzen herausreden wollte, stand sie auf und begann, ihm den Nacken zu massieren. Es war peinlich.
    »Gehört das auch zu den Aufgaben einer Dolmetscherin?«, fragte Simion anzüglich. »Was bezahlt er Ihnen pro Tag? Ich biete mehr, egal, wie viel es ist.«
    Simion war es ernst damit, auch Ana Cristina hatte den Wink verstanden. Sie lachte kokett. Die Spannung am Tisch wurde für Martin fast unerträglich, da rief glücklicherweise jemand vom Hotelpersonal Ana Cristina ans Telefon.
    »Lassen Sie Ana nicht aus den Augen«, sagte Simion anzüglich.
    »Das tue ich sowieso nicht«, antwortete Martin mit ganz anderen Hintergedanken. Er hoffte, dass sie ihm nichts ins Essen tat.
    »Diese Frau ist eine Wucht.«
    »Sie interessiert mich nicht im Geringsten.« Martin studierte die Speisekarte, ohne etwas zu verstehen.
    »Sind alle rumänischen Frauen so?«
    »Das kann ich Ihnen nicht beantworten, Marc, fragen Sie Ana Cristina.« Martin stöhnte gequält.
    »Komisch sind sie schon, die Rumänen, ziemlich unverständlich. Ich habe heute eine merkwürdige Geschichte gelesen, ich war auf der Post und habe mir die ›International Herald Tribune‹ nachsenden lassen. Kennen Sie Gigi Becali? Nein? Der Mann ist ein Phänomen – in wenigen Jahren stieg er nach Ceauşescus Fall durch Grundstücksspekulation vom Schafhirten zum Multimillionär auf.«
    »Das muss Ihnen doch gefallen, vom Tellerwäscher zum Millionär – ein amerikanischer Traum.«
    »Sie reden Unsinn. Ist das auf Ihren Weinkonsum zurückzuführen? Dieser Becali redet auch Unsinn, er hält sich für von Gott auserwählt, um Rumänien zu retten. ›Gott hat in Rumänien jemanden mit Namen Becali geboren, und das bin ich. Ich werde Rumänien zum großen Sieg führen. Ich!‹ So zumindest hat es in der Zeitung gestanden. Waren Sie mal in Mailand?«
    Martin bejahte die Frage. »In der Scala. Und worauf wollen Sie hinaus?«
    »Im Refektorium der Dominikanerkirche Santa Maria delle Grazie hängt ein Gemälde von Leonardo da Vinci, es heißt ›Das Abendmahl‹. Dieser Becali hat es nachmalen lassen, mit sich anstelle von Jesus, die Spieler seines Fußballvereins als Jünger. Wie weit geht der Irrsinn heutzutage?«
    »Das müssten Sie doch am besten wissen, als Amerikaner«, sagte Martin böse. »Sie nennen Amerika ›Gottes eigenes Land‹, und Ihr Präsident beendet jede Rede mit dem Wunsch
God bless you all
und hält dabei die Budweiser-Bierdose in die Kameras.«
    »Was ist mit Ihnen, Martin, was war los?

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