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Grrrimm (German Edition)

Grrrimm (German Edition)

Titel: Grrrimm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Seidenkrepp und aus Ohren und Nase wuchsen ihm jetzt ganze Büschel von Haaren. Das Tanzen musste er aufgeben. Die Knie hakten, und im Rücken kniff es. Einzig die Fee Fanny und ihr Gram über das Unrecht, das König Otto und Königin Augusta ihr angetan hatten, schienen ewig frisch zu bleiben. Und natürlich gab es auch noch Prinzessin Florentine, die unverändert jung und schön hinter der Dornenhecke schlief.
    Endlich waren die hundert Jahre beinahe um. Der geduldige Prinz ließ sich von seinem Diener ein zweites Unterhemd überziehen und verlangte, dass man für ihn den bravsten Esel bereitstellen sollte und das leichteste Schwert, das sich auftreiben ließ. Er sah aus dem Fenster. Es regnete. Das war gar nicht gut. Der Prinz war jetzt sehr gebrechlich, seine Hände zitterten, seine Augen waren trübe und ein langer dünner Bart hing ihm bis weit über die krummen Knie herunter. In den letzten fünf Jahren hatten die Ärzte darauf geschworen, dass man am allerältesten wurde, wenn man so gut wie gar nichts aß und trank, und der geduldige Prinz war inzwischen so leicht, dass er beim geringsten Windstoß wegzuwehen drohte.
    Sein Großneffe, der jetzige König, sah ihn losreiten und erinnerte sich, was man ihm von Onkel Alphons’ eigensinnigem Vorhaben und dem verwunschenen Schloss hinter der Dornenhecke erzählt hatte. Er rechnete nach, und kam zu dem Ergebnis, dass die hundert Jahre um sein müssten. »Es wäre doch gelacht, wenn ich nicht vor dem alten Trottel dort sein und die schöne Prinzessin selbst erlösen könnte«, sagte er sich, ließ sein bestes Pferd satteln und holte den Esel mit Leichtigkeit ein.
    »Na, Onkel Alphons, wie wäre es mit einem kleinen Wettrennen?«, rief er und galoppierte an ihm vorbei.
    Der Großneffe erreichte das überwucherte Schloss noch am selben Abend. Er hatte aber eines nicht bedacht: So geduldig auch Prinz Alphons seine Zeit abgewartet hatte, so wollte er doch nicht einen einzigen Tag zu spät kommen und hatte deswegen den langen Ritt auf dem Esel mit in seine Zeitplanung einbezogen. Kaum setzte der Großneffe einen Fuß in die Dornenhecke, umschlangen ihn die Zweige und ließen ihn nicht mehr los. Schlug er einen Ast ab, so wuchs der gleich doppelt verzweigt nach. Und weil er das Fasten nicht so gewohnt war wie der geduldige Prinz, hing er dort in einem recht jämmerlichen Zustand, als Alphons eine Nacht und einen Tag und noch eine Nacht später auf seinem Esel eintraf. Die Sonne ging gerade auf, die Vögel zwitscherten, ein milder Wind wehte, und es schien ein schöner Sommertag zu werden. Während Prinz Alphons noch überlegte, wie er es bloß mit seinen dünnen Streichholzärmchen bewerkstelligen sollte, das schwere Schwert zu ziehen, wich die Dornenhecke auf einmal ganz von selbst vor ihm zur Seite, und gleichzeitig trieb sie tausend schöne Rosen und blühte und leuchtete.
    »Lass mich hier nicht hängen«, rief sein königlicher Großneffe, aber Alphons legte die Hand ans Ohr, tat, als wenn er gerade mal wieder schwer hörte, und ritt auf seinem Esel in den Schlosshof. Dort, mitten auf dem Misthaufen, lag die Taube, die er vor hundert Jahren hatte abstürzen sehen, und schnarchte friedlich neben dem vom Schlaf übermannten Hofhahn. Als Alphons ins Schloss trat, stolperte er fast über zwei Lakaien, die auf dem Fußboden schliefen, in der Küche schlief der Koch mit den Armen im Suppentopf, aber zum Glück schlief auch das Feuer im Herd, und die Magd schlief auf der Bank und hielt dabei eine Ente, bei der man nicht erkennen konnte, ob sie ebenfalls schlief oder ob die Magd ihr schon den Hals umgedreht hatte. Alle waren so eingestaubt, dass sie wie graue Monumente aussahen. Selbst auf der Suppe stand eine dicke Schicht unappetitlicher Flusen.
    Der geduldige Prinz schlurfte in den Festsaal. Er wischte mit den Fingern über die Tische, um unter zentimeterdickem Staub die grünen Tischdecken wiederzufinden. Er erinnerte sich, als wäre das Geburtstagsfest der Prinzessin erst gestern gewesen. Nur, dass seine Knie gestern noch nicht so wehgetan hatten. Ich hätte Florentine gleich zum Tanz auffordern sollen, dachte Alphons. Warum habe ich bloß so lange gewartet?
    Schließlich hatte er das ganze Schloss abgesucht und die Prinzessin immer noch nicht gefunden. Nur im Turm hatte er noch nicht nachgesehen. Er öffnete die Tür und wischte die Spinnweben zur Seite. Die Fee Fanny hatte ganze Arbeit geleistet: Jede einzelne Stufe der Wendeltreppe lag voller Spindeln. Spindeln

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