Grrrimm (German Edition)
gepflückt. Er saß frisch gewaschen und gekämmt neben Florentine am Tisch und hielt ihre Hand.
»Wir haben uns gerade verlobt«, eröffnete er Prinz Alphons. Florentine errötete zart. Alphons wurde plötzlich schwindlig. Er sackte auf die Knie und musste sich an einer Säule festhalten.
»Das kannst du dem Jungen nicht antun«, polterte König Otto. »Er hat hundert Jahre auf dich gewartet. Und sieh nur, wie hübsch er jetzt wieder ist! Alles deinetwegen. Ich verbiete dir, diesen anderen da zu heiraten! Wer ist das überhaupt?«
»Es ist König Benno, ein Großenkel König Corsos«, zischte Königin Augusta. »Du willst doch wohl keinen Streit mit dem Nachbarreich?«
»Und ich mag reife und erfahrene Männer eben lieber als so grüne Jungs«, sagte Florentine.
»Aber ich bin reif und erfahren«, rief Alphons verzweifelt. »Ich bin hundertfünfzehn Jahre alt. Noch reifer und erfahrener kann man gar nicht sein. Ich sehe doch bloß so jung aus. Im Gegensatz zu Benno! Hast du dir eigentlich mal seinen Hals angesehen.«
»Ja, aber Benno ist König und du bist mit hundertfünfzehn Jahren immer noch Prinz«, sagte Florentine und drückte die Hand ihres Verlobten. Alphons erhob sich so wackelig, als wäre niemals eine Verjüngungskur an ihm vorgenommen worden.
»Ach, so ist das«, sagte er gepresst, drehte sich um und ging, um Haltung bemüht, hinaus.
Zwei Monate später hatte Alphons mit Hilfe der »Patriotischen Traditionalisten« – einem Geheimbund erzkonservativer Adliger, die schon immer der Meinung gewesen waren, dass Prinz Alphons der einzig wahre und rechtmäßige König des Reiches sei – seinen Großneffen gestürzt und ihn auf eine zugige Ritterburg im steinigen Hochgebirge, knapp unterhalb der Schneegrenze, verbannt. Woraufhin Prinzessin Florentine die bevorstehende Hochzeit absagte.
Alphons bestieg als Alphons der Jugendliche den Thron, wurde aber bald nur noch Alphons der Liederliche genannt, weil er sich zu einem der lasterhaftesten und vergnügungssüchtigsten Könige entwickelte, die das Land je erlebt hatte. Die wiedergeschenkte Jugend mit all ihren Möglichkeiten und die große Enttäuschung, die es zu überwinden galt, ließen eine Überfülle von Wünschen in ihm aufkeimen. Hatte er in seinem ersten Leben noch Jahr für Jahr befriedigt abgestrichen, weil mit jedem neuen Kalender auch das Wiedersehen mit Prinzessin Florentine näher gerückt war, so überkam ihn jetzt mit jedem Frühlingsbeginn ein leises Erschrecken und ein Gefühl der Bedrückung, denn er fragte sich dann unwillkürlich, wie viele Frühlinge er wohl noch würde erleben dürfen. Deswegen ließ er keine Jagd, keinen Tanz, keinen Schnaps, keine Prügelei und keine Gelegenheit aus, hatte unheimlich viel Spaß, sah aber schon zehn Jahre später verquollen und verlebt aus und wurde von diversen Zipperlein und einem Bandscheibenvorfall geplagt. Durch seinen aufsässigen, schmerzenden Körper dazu gezwungen, entdeckte König Alphons nun ein zweites Mal die Freuden der Mäßigkeit und der geruhsamen Bewegung an frischer Luft. Er betrieb Leibesübungen, nahm Bäder, hielt den Kopf kühl und die Füße warm und übte vorzüglich das tägliche Reiben des Körpers mit einem Leinensäckchen voller Kieselsteine. Außerdem stellte er fest, dass er die jungen Leute, mit denen er sich die letzten zehn Jahre herumgetrieben hatte, eigentlich gar nicht leiden konnte. Er fand sie dumm, vorlaut und allzu sehr von sich überzeugt, fand ihre Witze platt und ihre Sorgen belanglos. Alphons begann, sich wieder mit seinen langsam wachsenden Bäumen zu beschäftigen, und traf sich regelmäßig mit Patentante Fanny und König Otto zum Kartenspiel. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er auch davon, dass Prinzessin Florentine sich seit Jahren nach ihm die Augen ausweinte und keinen anderen Mann ansehen wollte.
»Nun sei doch nicht so nachtragend«, sagte die Fee Fanny. »Wir machen schließlich alle mal Fehler.«
»Florentine liebt dich«, sagte König Otto, »genau genommen hat sie dich schon immer geliebt. Es war Augusta, die ihr damals diesen Floh ins Ohr gesetzt hat, dass sie unbedingt einen König heiraten müsse. Na, und außerdem bist du ja jetzt König.«
Auch Alphons hatte in den kurzen Pausen zwischen zwei Vergnügungen immer wieder an die Prinzessin denken müssen – anfangs voller Zorn und Rachegelüste, dann aber mit immer größerer Sehnsucht. Eine hundert Jahre währende Liebe konnte man eben nicht so einfach vom Tisch wischen. Er ließ
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