Grrrimm (German Edition)
verloren«, sagte Jesus. »Bringt mir den größten Kessel, den ihr habt, füllt ihn mit kochendem Wasser, bringt mir scharfe Messer und Sägen, und lasst mich die Nacht über mit der Toten allein.«
Die Dorfbewohner brachten den Kessel und das Wasser, entzündeten darunter ein Feuer, legten Messer und Sägen neben das Feuer und verließen das Haus wieder.
»Ich bleibe bei dir«, flüsterte Bruder Lustig dem Herrn ins Ohr. »Lass uns warten, bis alle eingeschlafen sind, dann nehmen wir der Hübschen ihr Kreuz vom Hals – es ist ganz aus Gold – und machen uns durch das Fenster aus dem Staub. Du bist doch klüger, als ich dachte.«
Der Herr Jesus antwortete ihm nicht, sondern setzte die Säge an und begann, der Toten den linken Oberarm abzusägen.«
»Kamerad, was tust du«, rief Bruder Lustig. »Ich bin ja dafür, dass jeder sein Vergnügen haben darf, aber hier trennen sich unsere Gewohnheiten. Ich will sehen, dass ich verschwinde, ehe du am Ende auch mir einen Arm absägst.«
Er wollte aus dem Fenster klettern. Aber draußen neben dem Fenster standen zwei Bauern Wache. Und kaum hatte er einen Fuß über das Fensterbrett geschoben, da packten sie ihn am Hosenbein:
»Haltet ihn, da will einer verschwinden!«
»Nichts da«, rief Bruder Lustig, »ich brauche bloß einen Strauß Waldmeister, sonst wird die Kur nicht gelingen.«
Einer der beiden Bauern zog los, um Waldmeister zu pflücken, kam auch mit einem Sträußchen zurück, gab es Bruder Lustig und wollte einen Blick durch das Fenster erhaschen. Aber Bruder Lustig drückte ihm gleich wieder seinen Kopf hinaus, schlug die Läden zu und legte von innen den Riegel vor. Inzwischen hatte seine Reisebegleitung dem Mädchen auch den anderen Arm und die Beine vom Rumpf getrennt und machte sich gerade daran, den Kopf abzusägen.
»Kamerad, lass gut sein«, sagte Bruder Lustig. »Hier schwimmt ja schon alles.«
Doch der Herr Jesus sägte unbeirrt durch Luftröhre und Speiseröhre und zwischen den Halswirbeln hindurch. Er war bis über die Ellbogen mit Blut verschmiert. Selbst im Gesicht hatte er rote Spritzer. Bruder Lustig setzte sich auf einen Hocker, steckte sich eine Zigarette an und inhalierte tief.
»Hast recht. Schlimmer kann es sowieso nicht mehr werden. Morgen früh schlagen sie uns dafür tot – ob der Kopf nun noch dran ist oder nicht. Also tu, was du nicht lassen kannst, und wenn ich dir irgendwie zur Hand gehen soll, lass es mich wissen. So oder so – wir sind schließlich Kameraden.«
»Nimm die Arme und Beine und wirf sie in den Kessel«, sagte der Herr Jesus und ließ selber den Kopf hineinplumpsen. Bruder Lustig tat, wie ihm geheißen, und zuletzt hoben sie gemeinsam den Rumpf an, wuchteten ihn in den Kessel und ließen alles fröhlich kochen.
»Das ist ein Geruch«, sagte Bruder Lustig, »dass ich für den Rest meines Lebens keine Fleischsuppe mehr werde essen können. Das macht aber auch nichts, da man uns morgen früh sowieso aufhängen wird. So viel ist mal sicher.«
Alle Stunde sah unser Herr Jesus in den Topf, was die Einlage machte, und als alles Fleisch von den Knochen gefallen war, stieß er den Kessel um, dass sich die ganze Brühe im Zimmer verteilte.
»Herrgottnochmal«, rief Bruder Lustig und schob mit dem Fuß einen Oberarmknochen zur Seite, »du legst es wirklich darauf an, mir die letzte Nacht meines Lebens zur Höllenfahrt zu machen. Wie bin ich eigentlich darauf gekommen, dich Bruder Gemach zu nennen? Bruder Grusel wäre ein passenderer Name gewesen.«
»Nun suche die Knochen zusammen und bringe sie mir.«
Unter allerlei Flüchen machte sich Bruder Lustig daran, die Knochen zusammenzusuchen, und der Herr Jesus legte sie auf einer noch trockenen Stelle auf dem Boden aus, legte jeden Knochen an seinen Platz, bis vor ihnen das ganze Skelett des toten Mädchens lag, der Atlas im Dreher steckte, die Oberschenkelknochen in den Hüftschalen lagen und nicht einmal ein Fingerknöchelchen fehlte.
Sodann entkorkte der Herrgott seine Flasche mit dem Wasser des Lebens, sprengte reichlich davon über das Gerippe und sprach dreimal: »Jungfer, im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit, ich sage dir, kehre zurück und erhebe dich!«
Beim ersten Mal überzogen sich die Knochen mit Fleisch und Sehnen – ein Anblick, der dem Bruder Lustig die Haare zu Berge stehen ließ. Beim zweiten Mal überzog sich das Fleisch mit Haut, und die Bauerntochter lag wieder ganz und heil vor ihnen, und hatte auch keine Brandmale mehr. Und als er es das dritte
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