Gruber Geht
und hätte mich da gern dabei, ob ich eventuell mitmachen wolle. Fand ich interessant, wollte ich. Und na ja, natürlich hätte ich einfach in Berlin im Studio vom Foxi etwas basteln und es dem Fehringer rüberschicken können und er wär dann drübergegangen. Aber der Fehringer meinte, wenn ich Lust hätte, solle ich doch nach Wien kommen und wir basteln gleich zusammen bei ihm. Fand ich, tja, keine schlechte Idee. Der Fehringer fragte, ob ich im Oktober irgendwann Zeit hätte. Klar hatte ich, länger als zwei Tage werde das ja wohl nicht dauern. Selbstverständlich dachte ich an John. Dass das eine Möglichkeit wäre, den wiederzusehen. Anrufen, wenn ich sowieso in Wien bin, das ginge doch. Das wäre doch was anderes als von Berlin aus, das wäre cool und okay. Definitiv okay, doch.
Auf einmal ist sie da. Und auf einmal merkt Gruber, wie sehr er sie vermisst hat, auf einmal kann Gruber keine Minute länger in der Lobby ihres Hotels auf sie warten. Er geht an die Rezeption und fragt nach der Zimmernummer, Vogel, Sarah Vogel. Er fährt mit dem Lift hinauf in den zweiten Stock, geht einen stillen Gang entlang, klopft an die Tür von Zimmer 211 , und sie macht auf, und sie ist gar nicht überrascht, und sie lächelt, und Gruber schaut sie an und packt sie einfach. Er packt sie mit beiden Händen und küsst sie, und sie küsst zurück, nein, sie küsst nicht zurück, sie löst sich auf in ihm. Sie fließt durch ihn hindurch. Und er fließt in sie hinein, sie fühlt, wie ihr Körper in seinen Armen eine neue Form, einen neuen Sinn bekommt und zu vibrieren beginnt und lebendig wird, sie fühlt, wie ihr Körper sich auf seinen einschwingt und wie er in sie hineinschwingt und sie in ihn, und er spürt, wie er sich mit ihr vermischt und ein anderer Mensch wird, ein vollständigerer Mensch, und sie spürt sein Fleisch und ihr Fleisch, ihr Herz, sein Herz, es lässt sich nicht mehr unterscheiden, seine Hände wachsen in ihren Körper hinein und ihre Leiber verschwimmen, schmelzen zusammen zu einem Raum, in dem es bebt und schwillt und vibriert. Sie hat jetzt ein Zentrum, es ist schwül, dunkel und dicht, und er spürt seinen Schwanz, und sie spürt ihn auch, und er spürt, wie sie seine Hand zwischen ihren Beinen spürt, und die Berührung fühlt sich vertraut an und vollkommen und sie macht, während ihre Zungen und Lippen und Münder und Gesichter ineinander verrinnen, seine Hose auf, und legt seine Hand um ihn, und dann sind sie wieder zwei. Zwei verschiedene. Ein Mann und eine Frau. Der Mann und die Frau taumeln durch das Zimmer auf das Bett zu, während Textil von ihnen abfällt. Und die Frau legt sich auf das Bett und blickt dem Mann mit dem Ernst entgegen, den er in sich fühlt. Sie breitet ihre Arme aus und ihre Beine und zieht ihn auf sich, und sie fühlt ihn, wie er in sie hineindrängt und in sie hineinwächst und sie ausfüllt und sie versteht und erkennt, ja: erkennt.
Gruber fühlt sich herbstlich . Der Sommer hat noch kaum angefangen, aber Gruber fühlt sich schon herbstlich, und wie er sich dann im Herbst fühlen wird, will er sich noch nicht einmal vorstellen. Es wird jedenfalls nicht mein letzter Herbst sein, denkt Gruber, ganz bestimmt nicht, denkt Gruber, nur ein Scheißherbst vor vielen weiteren Herbsten. (Aber sicher ist er sich nicht.) Gruber sitzt im Grappello, er wartet auf Philipp, der wie immer zu spät ist, Gruber winkt der Kellnerin, bestellt ein zweites Bier und tippt eine Nachricht an Philipp: Heast! Oida!, aber bevor er sie abschicken kann, betritt Philipp das Lokal und küsst die Kellnerin wie einer, der schon ein bisschen was getrunken hat. Heast, Oida, sagt Gruber. Heast, Gruber, sagt Philipp, küsst Gruber, was Gruber hasst, auf den Mund und lässt sich keuchend auf einen Sessel sinken. Die Kellnerin stellt ein Glas Champagner vor ihn hin und weicht professionell aus, bevor Philipp nach ihr greifen kann.
«Wie geht’s?», sagt Gruber.
«Prächtig», sagt Philipp, «und selbst? Was macht der Non-Hodgkinsky?»
«Das Non-Hodgkin. Non. Hodgkin. Lymphom», sagt Gruber. «Es wird wohl gerade nonner.» Er schaut auf seinen Bauch. «Die letzte Chemo hat ihm hoffentlich tüchtig eine reingesemmelt».
«Wann warst du?»
«Am Montag.»
«Man sieht’s, dir gehen die Haare aus», sagt Philipp, «da, Wahnsinn, beug dich mal vor, das ist eine richtige Tonsur. Brutal. Sieht arg aus.»
«Trottel», sagte Gruber, «und danke der Nachfrage, es hätte schlimmer sein können.»
«Wusste ich
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