Gruber Geht
eh.»
«Jaja», sagt Gruber, «ich wäre ohnehin nicht auf die Idee gekommen, irgendeine Form von Mitgefühl von dir zu erwarten, Depperter.» Genau darum schätzt Gruber Philipps Gesellschaft: Da war keine Form von Mitleid zu befürchten, das hat Philipp nicht im Angebot. Die Herzog hat es im Angebot und Kathi hat davon ein Überangebot, aber Gruber hat keine Nachfrage danach, jedenfalls meistens nicht, und wenn doch, dann geht er lieber gleich zu seiner Mutter.
Philipp nimmt, Gruber ist sich sicher, seinen Krebs nicht einmal ernst, Philipp hält sein Non-Hodgkin-Lymphom für eine Art Mädchenkrebs, einen Blümchenkrebs für Anfänger. Was daran liegen könnte, dass Philipps Mutter vor zwei Jahren an Brust- und Knochenkrebs starb, nein, sie starb nicht vor zwei Jahren: Sie starb drei Jahre lang und vor zwei Jahren war sie mit dem Sterben einfach fertig. Am Ende wog ihr Schmuck mehr als sie selbst, aber sie legte ihn nicht ab, auch zum Abnippeln nicht. Gruber war einmal bei ihr gewesen, ein paar Wochen vor ihrem endgültigen Tod. Philipp hatte ihn gezwungen, mit in die Villa hinaus zu fahren, in die seine Mutter aus dem Krankenhaus geflohen war, gegen den Rat der Ärzte. Vor allem gegen den Rat ihrer Familie, die sie lieber sicher verwahrt gewusst hätte in einer Umgebung, in der nicht die Mutter die Befehlshoheit hatte, sondern die Ärzte, in einem Raum, den man auf eigenen Wunsch betreten und nach eigenem Willen wieder verlassen konnte, einem Ort mit verlässlich endenden Besuchszeiten. Deshalb hatte Philipp Gruber auch da in die Villa hinausgeschleppt, er hielt seine Mutter allein nicht aus. Sie war, in voller Überzeugung und mit entschiedener Absicht ihr Leben lang eine herrische Frau gewesen und hatte nicht vor, ausgerechnet in der Phase ihres größten Leids von dieser Haltung abzuweichen. Wenn sie schon slowakische Krankenschwestern quäle, erklärte sie Gruber, dann zumindest auf eigene Rechnung, es liege nun einmal grundsätzlich nicht in ihrer Natur, mit Personal zu fraternisieren, und sie habe gewiss nicht vor, jetzt damit anzufangen, aber in Krankenhäusern gebe es neuerdings die Mode, Höflichkeit gegenüber bezahltem Dienstpersonal zu verlangen, ja, Unterwürfigkeit. Also, das sei nun doch reichlich genant. Philipp hatte von der anderen Seite des Zimmers her die Augen verdreht. Er hatte in den paar Wochen, in denen sie stationär im Krankenhaus in Behandlung war, mehr als einen Anruf vom Oberarzt entgegengenommen, der ihn in höflichen, aber von Verzweiflung durchtränkten Worten gebeten hatte, doch bitte kalmierend auf die werte Frau Mama einzuwirken, es verweigere bereits eine größere Anzahl von Krankenschwestern den Dienst im Zimmer der Frau Mama, und sein Personal sei überaus begrenzt. Philipp habe, erzählte er Gruber, dem Arzt darauf erklärt, dass es gute Gründe gebe, warum er den größeren Teil seiner Schulzeit freiwillig im Internat verbracht und zwei Jahre seines Studiums im Ausland absolviert habe. Etwas Derartiges wie kalmierende Maßnahmen griffen bei seiner Mutter nicht, seine Mutter sei vollumfänglich kalmierungsresistent, und schon gar ihm gegenüber, ja, jeder Versuch seinerseits, die Mutter irgendwie zur Räson zu bringen, bewirke zuverlässig das Gegenteil. Der Oberarzt hatte gefragt, ob es denn jemand anderen gebe, der einen positiven Einfluss auf die Frau Mama habe, und Philipp habe gelacht, mein glockenhellstes Lachen habe ich gelacht, hatte Philipp erzählt, und gesagt ja, die Frau Hildegard vielleicht, die Haushälterin, die habe es als einzige mit der Mutter ausgehalten, vierundzwanzig Jahre lang. Der Arzt habe gefragt, ob man denn nicht die Frau Hildegard ans Bett der Mutter bitten könne, und Philipp habe gesagt, leider nein, tot, die Frau Hildegard selig sei eingeschlafen, ein Herzstillstand, kaum ein Jahr nach ihrer Pensionierung. Der Arzt habe geseufzt und zehn Tage später unglaublich schnell, innerhalb von Minuten praktisch, den von der Mutter hinter dem Rücken ihrer Anverwandten erbetenen Revers ausgestellt, auf dem sie dann unterschrieb, dass sie das Krankenhaus auf eigenen Wunsch und gegen den ausdrücklichen Rat der Ärzteschaft verlasse. Um dann zuhause in der Villa von früh bis spät Bezahlpersonal aus den ehemaligen Kronländern zu terrorisieren. Philipp hatte nun auf Befehl seiner Erzeugerin alle zwei oder drei Tage in der Villa zu erscheinen, um ihre Klagen abzuhören, die gegen Ende in ein Fluchen ausarteten, in ein Idiom, das sie sich vor ihrer
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