Grün. Le vert de la Provence
kleinen Schreibtisch saß und ihn freundlich begrüßte, beäugte ihn, als
würde er ein imaginäres Bild mit der Realität vergleichen.
Vermutlich wusste der halbe Ort bereits von ihm. Sophie
würde mit ihrem Schwager, dem Metzger, gesprochen und der diese Informationen
beim Tranchieren von Entrecôtes, beim Enthaupten von Ardeche-Hähnchen oder dem
kunstvollen Umwickeln von Braten mit hauchdünnen Speckstreifen seiner
Kundschaft weitererzählt haben. Kein Geschäft bot derart viel Spielraum für
Unterhaltung wie eine Metzgerei.
Anselm fragte Mathieu nach Pauline. Ob er die Kräuterfrau
vom Markt kennen und ob es von ihr vielleicht auch Bücher über heimische
Kräuter geben würde. Der Mann lächelte und wiegte den Kopf. „Ich kenne sie.
Natürlich. Fast jeder hier kauft Kräuter und Heilpflanzen bei ihr oder fragt
sie um Rat. Aber ein Buch hat sie, soweit ich weiß, noch nicht geschrieben.“
„Schade!“, sagte Anselm und ging auf ein Regal zu, in dem
mehrere Bücher über Heilkräuter ausgestellt waren. „Sie ist kompetent, nicht
wahr?“
Mathieu nickte zustimmend. „Sie ist die Praktikerin.
Andere können besser schreiben.“
„Zum Beispiel wer?“
Der Mann zuckte mit den Schultern. „Soweit ich weiß,
wohnen Sie in dem Haus von Monsieur Baumann. Er war damit beschäftigt, ein Buch
über Heilpflanzen zusammenzustellen. Er war ein großer Kenner der Materie und
besaß einige außergewöhnliche bibliophile Sammlerstücke.“
„Besaß?“
Wieder zuckte der Mann mit den Schultern. „Ich meine, er
ist tot. Damit vergeht jeder Besitz. Vielleicht hat er die Sammlung aber auch
wieder verkauft. Ich habe lange keine Bücher mehr von ihm zu sehen bekommen.“
„Früher schon?“
„Ja. Er hat sie mir einmal für eine kleine Veranstaltung
zum Thema geliehen. Wir haben sie in Glasvitrinen ausgestellt und für
interessierte Besucher Vorträge und geführte Wanderungen in die umliegenden
Wälder organisiert.“
„Sind das so wertvolle Bücher, dass Glasvitrinen nötig
waren?“
„Kann man so sagen. Eines ganz besonders. Heute ist
dieses Buch eine Rarität und schon als es erschien, war es ein außergewöhnlich
kostbares Werk.“ Er kramte in einer Schublade und holte ein Faltblatt hervor,
das zu der Veranstaltungsreihe einlud. Auf dem Blatt war ein aufgeschlagenes
Buch abgedruckt. A Curious Herbal von Elizabeth Blackwell. „Rund
fünfundvierzigtausend Euro ist allein dieses Werk wert, und Monsieur Baumann
besaß noch viele weitere, antiquarische und teilweise kaum mehr zu erhaltene
Bücher. Er muss viel Zeit mit der Suche nach solchen Titeln und auch auf
internationalen Auktionen verbracht haben.“
Anselm hatte in Eds Bibliothek zahlreiche antiquarische
Bücher entdeckt, A Curious Herbal war ihm dort aber nicht aufgefallen.
Er starrte einen Moment lang unschlüssig auf die Regale an den Wänden des
kleinen Ladens. Dann entschied er sich, noch einmal nach Pauline zu fragen.
„Kannte Monsieur Baumann die Kräuterfrau?“
„Ich denke schon, Monsieur. Wer sich so intensiv mit dem
Thema beschäftigt, wird auch Kontakt zu den lokalen Kennern gehabt haben.
Außerdem ist er häufig hier im Ort gewesen und vermutlich auch oft über den
Markt gegangen.“
„Ihren Familiennamen wissen Sie nicht zufällig? Oder
etwa, wo sie wohnt? Ich würde gern erfahren, ob Monsieur Baumann sie in sein
Buchprojekt eingeweiht hat. Vielleicht ließe sich daran weiterarbeiten,
vielleicht zusammen mit dieser Frau.“
„Nein“, Mathieu schüttelte den Kopf, „ich kenne sie auch
nur vom Markt. Sie kommt auch nicht aus dem Ort hier, dann wüsste ich ihren
Namen.“
Als Anselm den Laden verließ, war er sicher, dass Mathieu
ihm nicht die Wahrheit gesagt hatte und umgehend telefonieren oder vielleicht
sogar Pauline aufsuchen würde. Eine Veranstaltung über Heilkräuter, ohne die
offensichtlich maßgeblichste Kennerin der Materie mit einzubinden, war
unwahrscheinlich. Allerdings hatte er den Namen Pauline nicht auf dem Faltblatt
entdeckt, lediglich ein Wanderführer wurde dort mit Bild vorgestellt, dessen
Name er aber nicht so schnell identifizieren konnte. Er ging einige Schritte in
eine Seitenstraße und beobachtete von dort das Geschäft. Tatsächlich verließ
der Mann nach wenigen Minuten seinen Laden, schloss ab und ging direkt zu der
Apotheke, in deren Auslage Anselm die Werbung mit Heilkräutern gesehen hatte.
Um Pauline schien ein Netzwerk der Verschwiegenheit gesponnen worden zu sein.
Das Dorf, die Händler und sogar
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