Grün. Le vert de la Provence
Trampelpfad führte über
loses Geröll. Hin und wieder bildeten Wurzeln natürliche Stufen im Hang.
Hinunterzusteigen war immer einfacher, als diesen Pfad wieder hinaufzuklettern,
allerdings erleichterte es das Geröll, ein erlegtes Tier den Hang
hinaufzuziehen.
Eric hatte es eilig, seinem Herrn die Beute zu zeigen. Er
kam unvermittelt angerannt, und führte Adrien, wild mit dem Schweif wedelnd,
ungeduldig die letzten Meter entlang des Pfades und dann in das Dickicht
hinein. Adrien fluchte erneut. Was immer die Köter gefunden hatten, es wäre bei
dieser Temperatur nur noch Aas. Er würde die Hunde beschimpfen und wieder den
Hang hinaufscheuchen müssen. Eric sprang aufgeregt voran, immer wieder stehen
bleibend und sich nach Adrien umsehend, bis sie Flou-Flou erreichten, der zu
bellen angefangen hatte und wie ein Schaukelpferd auf und ab wippte. Direkt vor
dem Hund zeichnete sich eine helle Masse aus dem niedrigen Strauchwerk ab, die
Adrien keinem ihm bekannten Wild zuordnen konnte. Eine Woge von Fliegen erhob
sich, als er schließlich fast mit dem Fuß gegen den Körper stolperte, der dort
zwischen verdorrtem Thymian und Dornengestrüpp lag.
Die Frau war völlig nackt. Der Körper war leicht
verdreht, Arme und Beine wirkten wie unvermittelt fallen gelassen. Sie war
jung. Langes, zerzaustes blondes Haar, in dem sich Zweige und Gräser verfangen
hatten, umkränzte ein auffallend schönes Gesicht, aus dem ihn wasserblaue Augen
anstarrten. In der Stirn, leicht links von der Mitte versetzt, klaffte ein
kleines, rundes Loch, aus dem sich eine schmale vertrocknete Blutspur zur Braue
hinzog. Adrien hatte Jahrzehnte lang keine nackte junge Frau mehr gesehen, aber
diese Tote schien ihm mit einem perfekten Körper gesegnet gewesen zu sein. Er
schwankte zwischen Entsetzen und Faszination. Wer konnte eine solche Tat
vollbringen? Diese Frau war die Erfüllung aller männlichen Träume gewesen und
jemand hatte sie achtlos wie Vieh abgeknallt.
Ganz langsam wurde Adrien bewusst, dass er vor dem Opfer
eines Mordes stand, das hier, an diesem einsamsten aller Waldplätze, abgelegt
worden war. Er spürte, wie sich ein unangenehmes Kribbeln die Wirbelsäule
hinaufarbeitete, seinen Nacken erreichte und sich ganz allmählich panische
Angst in ihm ausbreitete. Der Mörder könnte noch in unmittelbarer Nähe sein und
ihn beobachten. Vielleicht war schon eine Waffe auf ihn gerichtet, eine
Drahtschlinge gebogen, um ihn ebenfalls hier zu töten. Die Hunde würden ihm
dann überhaupt nichts nützen. Sie konnten jagen und Beute aufstöbern, aber
weder den Hof noch die Herde und schon gar nicht ihren Herrn verteidigen.
Der Schweiß, der hier im lichtgeschützten Dickicht schon
fast getrocknet war, brach mit solch unvermittelter Wucht wieder aus seinem
Körper hervor, dass er in Sekunden völlig durchnässt war. Er warf noch einen
letzten Blick auf die Tote und hetzte dann, so gut es sein alter Körper
ermöglichte, den Hang hinauf zum Toyota. Er herrschte die Hunde an, auf die
Ladefläche zu springen, versetzte dem alten Eric sogar einen Tritt, und
startete dann mit durchdrehenden Reifen in Richtung der neuen Passstraße. Er
wollte Menschen um sich haben, Schutz durch Gemeinschaft. Er wollte
hinausschreien, was er gesehen hatte und die ganze Staatsgewalt zur Stelle des
grausigen Fundes führen. Der Toyota sprang wie ein zappeliges Lamm über die
Schlaglöcher der alten Straße, wankte bedenklich in den engen Kurven und
vibrierte in jeder Verschraubung unter der extremen Motorbelastung, die Adrien
dem alten Gefährt zumutete, bis er mit unverminderter Geschwindigkeit in die
neue Straße einbog und den Berg in die Ebene hinabraste.
Er würde von der ersten Bar aus direkt die Police
nationale in Avignon anrufen und nicht erst die örtliche Gendarmerie
informieren. Alles andere wäre unsinnig. Die Gendarmen würden mit ihm zur
Fundstelle der Leiche fahren, er müsste mit den Männern den Hang hinabsteigen,
alles erklären und dann später das Ganze mit der Police nationale wiederholen.
Schließlich holte ihn doch die Gendarmerie auf Anweisung
eines Kommissars der Police nationale aus der Bar ab. Sie fuhren wieder hinauf
zum Pass und hielten auf dem Parkplatz, den er erst vor gut einer Stunde in
Todesangst verlassen hatte. Jetzt überkam ihn die Panik, sich alles nur
eingebildet zu haben, und dass dort unten im Wald keine Frauenleiche liegen
würde. Oder schlimmer noch, dass der Täter zurückgekommen und die Leiche von
dort fortgeschleppt
Weitere Kostenlose Bücher