Grün. Le vert de la Provence
wählen. Der Gedanke an den Pass und die dort gefundene tote junge
Frau lastete bleischwer auf ihnen. Über vier Stunden hatten sich die Verhöre im
Kommissariat hingezogen. Der DNA-Test hatte ergeben, dass die Hautpartikel
unter dem Fingernagel der Toten von Ed stammten und sofort war die Vermutung
aufgekommen, dass Ed Geschlechtsverkehr mit dieser Frau gehabt hatte, als er
starb. Natürlich konnte es auch eine andere Erklärung geben, eine zufällige
Berührung etwa, aber das war zu unwahrscheinlich, um ernsthaft in die
Überlegungen einbezogen zu werden.
Vidal hatte sehr schnell aus der neuen Entwicklung seine
Konsequenzen gezogen und in Belle Lumière in Beisein der völlig
verängstigten Sophie eine Hausdurchsuchung durchgeführt, während Anselm und
Valerie in Avignon waren. Außer einigen belanglosen Notizen konnte dort aber
nichts gefunden werden und mögliche Spuren waren bereits der sorgfältigen
Reinigung durch Sophie zum Opfer gefallen.
In den Verhören hatten Vidal und Gauthier den Druck auf
Valerie kontinuierlich verstärkt und immer wieder ins Spiel gebracht, sie habe
die Unbekannte aus Eifersucht getötet. Selbst Anselm wurde verdächtigt, ihr
dabei geholfen oder die Tat gar in ihrem Auftrag ausgeführt zu haben. Erst mit
dem Erscheinen von Valeries Anwälten, ihrer schonungslosen Schilderung des
Baumann’schen Ehelebens und der Benennung diverser Zeugen dafür entspannte sich
die Situation. Letztendlich vermutete Anselm, dass Vidal nie ernsthaft Valerie
und ihn verdächtigt hatte, aber er diese derzeit wahrscheinlich einzige Spur um
jeden Preis verfolgen wollte.
Über die Identität der Toten bestand nach wie vor völlige
Unklarheit. Anselm hatte Valerie auf Nora angesprochen, aber sie hatte seine
Überlegung, dass die Tote vielleicht Eds Tochter sein könnte, energisch
zurückgewiesen. Allerdings hatte sie zugeben müssen, dass die äußeren Merkmale
übereinstimmen könnten. Sie hatte Nora zuletzt als Jugendliche gesehen, wie sie
jetzt aussah, wusste sie nicht.
In der Bastide ließ Anselm sich in einen der großen
Sessel sinken und sah in das schwache Licht der Blauen Stunde hinaus. Die
Temperaturen und die stickige Luft in der Stadt waren eine zusätzliche
Belastung bei den zermürbenden Verhören gewesen. Er fragte sich, was im
Mittelalter den Klerus veranlasst haben mochte, in dem seinerzeit sumpfigen
Mündungsdelta von Rhône und Durance einen Papstpalast zu bauen. In der
Hitze der Sommermonate muss es dort erbärmlich gestunken haben, mit
unerträglichen Schwärmen von Mücken in der feuchtheißen Luft.
Valerie setzte sich wortlos auf seinen Schoß und sah
ebenfalls in die zunehmende Dunkelheit hinaus. Schließlich lehnte sie sich an
ihn, die Arme über die Lehne hängen lassend. „Halt mich fest“, sagte sie leise,
„ich verliere grade den Boden unter den Füßen.“ Anselm spürte die Wärme ihres
Atems auf seiner Haut, fühlte ihren Körper, ihre Brüste, die sich gegen seine
Schulter schmiegten, sog ihren Duft ein und legte schließlich sanft seine Hand
auf ihren Rücken. Er ertastete ihre Schulterblätter.
Als er erwachte, war Valerie schon aufgestanden. Sein
Körper fühlte noch die Berührungen der Nacht, er erinnerte sich an die Struktur
ihrer Haut, die Wölbung von Muskeln und Knochen, die Härte ihrer Brustwarzen.
Er atmete den verblassenden Duft ein, den sie auf dem Laken hinterlassen hatte
und ließ ihre sanften, weichen Laute in seinem Gedächtnis nachklingen. Er hatte
sich den Sex mit Valerie gänzlich anders vorgestellt. Aber es war auch weniger
der Beischlaf aus Lust und Begierde gewesen als der aus Verzweiflung und
Einsamkeit.
Valerie schwamm, als er auf die Terrasse trat. Sie
schwamm in unglaublich kraftvollen, konzentrierten Bewegungen, durchpflügte das
Wasser, ohne aufzusehen, wendete mit einer perfekten Drehung und zog die
nächste Bahn. Es war kein Schwimmen aus Freude oder aus sportlichen Erwägungen,
es war ihr einsamer Kampf gegen einen unsichtbaren Feind, der sich Stück für
Stück ihres Lebens bemächtigte.
Samstag, 21. August
Einsame Höfe
Jean-Noël Baudouin blickte von seinem Käsestand hinauf
zu den Tischen der Bar des Sports oberhalb des Marktplatzes. Dort saßen
bereits einige Touristen, tranken kaltes Bier und sahen auf das Marktgeschehen
hinunter. Er beneidete sie um diesen Müßiggang. Sie mussten nicht arbeiten und
konnten bereits am Vormittag eine kalte Pression trinken. Er selbst würde noch
gut eine Stunde in der Gluthitze auf
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