Grün. Le vert de la Provence
dem Marktplatz von Montigny stehen müssen,
bis er zusammenpacken und die endlosen Kilometer zu seinem Hof zurückfahren
konnte. Aber auch da würde es genug Arbeit geben. Das langsam völlig
verfallende Gemäuer, das Vieh und die Käserei. Bei alledem war seine immer
unzufriedener werdende Frau zunehmend weniger eine Hilfe.
Dabei war zunächst alles so einfach gewesen. Sie hatten
in der Provence auf dem für wenig Geld gekauftem Gehöft ein neues Leben als
Käsebauern begonnen. Das war vor mehr als zwanzig Jahren gewesen. Im Sommer
wuchs ausreichend Gemüse und Obst im eigenen Garten, in einer abgeschiedenen
Ecke konnten sie sogar gutes Dope anbauen und im Winter als kleines
Zusatzeinkommen an alte Freunde verkaufen. Das Landleben hatte zwar von Anfang
an Entbehrung und Mühsal bedeutet, aber in den schwierigen Phasen des Seins
waren sie sich selbst genug gewesen, hatten sich geliebt und in dunklen Nächten
ohne Elektrizität und Verbindung zur zivilisierten Welt ihre Träume und
Fantasien in opulenter Farbigkeit voreinander ausgebreitet. Alles hatte vor
ihnen gelegen, jede noch so abwegige Idee hatte ihre Berechtigung gehabt, alles
war möglich gewesen.
Im Laufe der Jahre war der Zauber der Abgeschiedenheit
und der selbstvergessenen Leidenschaft langsam einer Resignation gewichen. Er
konnte sich nicht daran erinnern, wann dieser Prozess eingesetzt hatte. In den
vielen öden Stunden, die er, ohne Kunden bedienen zu können, auf Märkten
verbrachte, hatte er immer wieder darüber nachgedacht, ob es eine
Initialzündung gegeben hatte, ob er, wenn er rechtzeitig gehandelt hätte, noch
alles zum Guten hätte wenden können. Aber es war müßig, diese Gedanken
durchzuspielen. Die Ehe mit Marie war zu einem alltäglichen Kleinkrieg um
Nichtigkeiten geworden, die Leidenschaft der frühen Jahre war vor mehr als
einem Jahrzehnt versandet, zunächst unmerklich, dann unaufhaltsam.
Aus den Anfangsjahren war noch sein langes Haar
geblieben, das in einem grauen, stumpfen Zopf bis unter die Schulterblätter
reichte. Es war der reine Trotz. Der Zopf erinnerte ihn selbst zunehmend an den
Schweif eines alten Gauls, ihn abzuschneiden bedeutete für ihn aber, den
Verlust der Jugend endgültig zu akzeptieren.
Mit Pauline war plötzlich ein Mensch in sein Leben
getreten, der genau wie er ein Außenseiter war. Eines Tages hatte sie neben ihm
in Prades auf dem Markt gestanden und Kräuter, Heilpflanzen und Essenzen
verkauft. Sie fanden einen Rhythmus, in dem sie zwischen den Märkten von
Montigny und Prades wechselten. Sie tauschten sich über die alltäglichen
Belange aus und waren mit jeder kleinen Offenbarung ihrer Lebenswirklichkeiten,
Hoffnungen und Enttäuschungen zu guten Freunden geworden. Pauline erzählte von
Indien, wo sie einige Jahre gelebt hatte, vom Ashram, von spirituellen
Erfahrungen, von ihrer selbstgewählten Isolation auf dem alten Hof der Familie
in den Bergen der Baronie und von ihrem Wissen um die Kraft der Pflanzen, das
sie von ihrer Mutter und diese wiederum von der Großmutter erlernt hatte.
Viele Alte in der Region vertrauten schnell auf ihr
Pflanzenwissen und ihre Heilkunde. Zunehmend kamen aber auch Jüngere, selbst
Ärzte und Apotheker, auch aus Marseille und Lyon, die nach natürlichen Mitteln
suchten. Sie war im Laufe der Jahre zu einer Institution geworden und Jean-Noël
konnte sich an keinen Markttag erinnern, an dem Pauline nicht in unmittelbarer
Nähe von ihm ihren Stand aufgebaut hatte. Dass sie am vergangenen Mittwoch und
auch jetzt am Samstag nicht gekommen war, beunruhigte ihn. Vielleicht hatte sie
einen Unfall auf dem Hof oder auf der Fahrt zum Markt gehabt? Die Unsicherheit
nagte den Vormittag über beständig weiter an ihm, bis er beschloss, im
Anschluss an den Markt zu ihrem Hof zu fahren, um nach ihr zu sehen.
Die Stunden schleppten sich mit mäßigem Verkaufserfolg
hin. Klimatisierte Supermärkte waren bei diesen Temperaturen den Wochenmärkten
überlegen, die Hitze hielt Touristen vom Marktbummel ab. Er hatte Zeitungen und
befeuchtete Tücher über den Käselaiben ausgebreitet und nur wenige Exemplare
auf kleinen Servietten ausgestellt, die er stets nach wenigen Minuten austauschte,
wenn der Käse zu schwitzen begann. Auch die Nachbarstände fochten einen
aussichtslosen Kampf gegen den Verderb der Waren in der gegen Mittag immer
unerträglicher werdenden Glut.
Pauline hatte einen festen Stamm von Kunden aufgebaut,
die jetzt teilweise bei ihm nachfragten, wo sie sei. Das war ihm so nie
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