Grün. Le vert de la Provence
über
deren Wirkungsweisen. Vor allem in Bezug auf Pflanzen der Region.“
„Hat er viele Bücher darüber gekauft?“
„Eigentlich jedes, das wir vorrätig hatten oder für ihn
finden konnten. Es muss eine kleine Bibliothek ergeben haben. Elizabeth
Blackwells A Curious Herbal wird das Glanzstück darin sein. Er hat mir
die beiden Bände einmal gezeigt. Sie sind wundervoll.“
„Da haben sie mir etwas voraus. Ich habe diese Bücher nie
gesehen.“ Valerie bemühte einen höflichen Tonfall, Anselm sah ihr aber die Wut
an, die sie in diesem Moment gegen Ed hegte. Es war klar, wer diese Bibliothek
besaß. In Belle Lumière standen zwar auch zahlreiche antiquarische
Werke, aber keine Sammlung über Heilpflanzen. Die konnte sich nur bei Pauline
befinden, von der sie noch immer keinen Familiennamen oder eine Adresse
kannten.
„Was ist an A Curious Herbal so besonders?”,
fragte Valerie, während Anselm im gleichen Augenblick wissen wollte, ob Ed
jemals in Begleitung erschienen sei.
Der Antiquar sah leicht verwirrt zwischen beiden hin und
her. „Es enthält eine Auflistung der wichtigsten Heilpflanzen, die in Apotheken
des achtzehnten Jahrhunderts geführt wurden“, antwortete er zunächst Valerie,
wobei er Anselm ansah, „mit absolut naturgetreuen, kolorierten Kupferstichen
von jeder Pflanze. Es war damals eine Sensation. Die Frau ist eine
hochtalentierte Zeichnerin gewesen. Es war ein Jahrhundertbuch, das sogar
später in Deutschland als überarbeitete Version auf den Markt gekommen ist, als Das Blackwell’sche Kräuterbuch .“ Er lächelte erleichtert, als hätte er
soeben eine schwierige Aufgabe bewältigt, wechselte dann aber unvermittelt zu
einem eher betrübten Gesichtsausdruck. „Gelegentlich wurde Monsieur Baumann von
einer sehr profunden Kennerin der Materie begleitet. Eine Französin. Manchmal
habe ich mir gedacht, dass diese Frau das Klischeebild erfüllt, das ich von
einer Kräuterhexe habe.“ Er lachte gekünstelt und schüttelte dabei den Kopf, als
sei er über seine eigenen Vorurteile erstaunt. Valerie sah kurz zu Anselm,
fragte aber nicht weiter nach.
Anselm versuchte sich Ed vorzustellen, wie der hier in
Begleitung von Pauline die Regale durchstöberte, um in den verwunschenen engen
Gassen von Avignon dem verschollenen Wissen und den Geheimnissen von Druiden
und Schamanen auf die Spur zu kommen. „Wissen Sie, warum er sich ausgerechnet
für dieses Thema so sehr interessierte?“
„Er sah in diesen Kenntnissen ein besonderes kulturelles
Erbe der Menschheit. Er wollte diese Kenntnisse neu beleben und der
Öffentlichkeit zugänglich machen. Ich glaube, die Frau hat ihm dabei sehr viel
Grundlagenwissen vermittelt. Sie schien bei ihm die Initialzündung ausgelöst zu
haben.“
„Initialzündung wozu?“
„Eine Enzyklopädie der Naturheilkunde zu veröffentlichen.
Er hat sogar darüber nachgedacht, hier in der Provence ein Schulungszentrum
aufzubauen und das angestammte Wissen über die Wirkungsweise von Pflanzen zu
vermitteln. Ich bin überrascht, dass Sie das nicht wussten.“ Der Antiquar sah
Valerie eine Nuance skeptischer an als zu Beginn der Unterhaltung.
„Sie sprachen von zwei thematischen Richtungen“, lenkte
Anselm die Aufmerksamkeit von der Naturheilkunde auf ein, wie er hoffte,
neutraleres Terrain. „Was war das zweite Thema?“
Rousseau schwieg einen Moment, ging dann zur Ladentür,
sah kurz hinaus in die Gasse und schloss ab. „Kommen Sie“, sagte er, und ging
voran in den hinteren Teil des Antiquariats. „Das Interesse von Monsieur
Baumann galt dem Sommer neunzehnhundertvierundvierzig, genauer, dem August.
Also der Zeit kurz vor und nach der Landung der Alliierten. Die Operation
Dragoon, bei der alliierte und französische Verbände gemeinsam in der Provence
vorrückten, dauerte vierzehn Tage, vom fünfzehnten bis zum achtundzwanzigsten
August.“ Mathieu hatte eine Militärkarte aus einer der Schubladen gezogen und
vor ihnen ausgebreitet. Eine dicke rote Linie zeigte, bis wohin die Deutschen
bis zum achtundzwanzigsten August zurückgedrängt worden waren. Die Linie führte
im Westen von Nîmes das Rhônetal hinauf bis Montélimar und Livron und folgte dann in einem weiten Bogen nach Osten der Isère über Bourg nach Grenoble und von dort durch die Alpen nach Briançon und weiter durch die Seealpen nach Süden, um durch das Tal der Var bei Nizza wieder das Meer zu erreichen. Die Hafenstädte Marseille und Toulon waren ebenfalls am achtundzwanzigsten August
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