Grün. Le vert de la Provence
Belges.
Aix emittierte an diesem Nachmittag die gesammelte Hitze
der vergangenen Wochen. Die Körperausdünstungen unzähliger Menschen und die Schwaden
beißender Abgase von Kleinlastern, Personenwagen und Motorrollern ergänzten die
Glut. Er fand ein komfortables, wenn auch teures Hotelzimmer in der Nähe des Musée
Granet, nur wenige Schritte von der Rue Cardinale entfernt. Dann ließ er
sich mehrere Stunden durch die Altstadt treiben und trank Kaffee im Schatten
der Platanen auf der Place vor dem Hôtel-de-Ville . Der verblassende Duft
des Blumenmarkts lag noch in der Luft, verband sich mit den Aromen von Kaffee
und unzähligen Nuancen unterschiedlicher Parfums zu einem sinnlichen Erlebnis,
wie es nur an einem Platz wie diesem entstehen konnte.
Auf dem Cours Mirabeau fiel ihm eine perfekte
südfranzösische Schönheit beim Verlassen einer Confiserie
auf , die, in einer Hand eine ausladende Schachtel mit Konfekt
balancierend und in der anderen ein Handy am Ohr haltend, mit filigranen, aus
schwindelerregend hohen Stilettosandaletten wie eine
Schmetterlingslilie emporwachsenden Gliedmaßen, den Kampf gegen die
Gravitation auf dem rübenförmigen Kopfsteinpflaster antrat, wobei sich ihre
zierlichen Knöchel in aberwitzigen Verformungen zwischen den abknickenden Füßen
und dem schlingernden Rest des Körpers drehten, die Kniegelenke ihre
atemberaubenden, aus einem spartanisch geschnittenen Rock herausragenden Beine
mal in eine extreme O-, dann wieder X-Stellung bogen, während die Kaskade ihrer
braunen Locken anmutig um die schmalen Schultern schlug. Sie zeigte unverwandt
ein betörendes Jungmädchenlächeln, das, auch wenn sie ins Handy sprach, was
fast ausschließlich der Fall war, unter der übergroßen Sonnenbrille zwischen
ihren vollen, glutrot geschminkten Lippen, zwei Reihen strahlend weißer Zähne
freilegte. Dabei schwankte sie wie ein volltrunkener Seemann über die Distanz
von vier oder fünf Metern Kopfsteinpflaster, die das Süßwarengeschäft mit den
ebeneren Platten des Gehwegs entlang der Platanen verband, ohne ein einziges
Mal den widrigen Untergrund eines Blickes zu würdigen. Sobald das Hindernis
überwunden war, schwebt dieses unwirkliche Geschöpf wie eine Elfe davon. Anselm
war fasziniert.
Die Rue Cardinale durchquerte das Quartier Mazarin von
der Rue d’Italie hinunter zur Avenue Victor Hugo . Hier
standen harmonisch proportionierte Stadtpalais mit drei, teilweise vier
Stockwerken, die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts als vornehme Wohnhäuser
außerhalb der damaligen Altstadt gebaut worden waren.
Anselm ging gemächlich diese Gasse entlang, auf der sich
zu dieser Stunde nur wenige Passanten bewegten, und begann, systematisch die
Namensschilder an den Gebäuden zu studieren. Schließlich entdeckte er den
Firmennamen SBT auf einem Klingelknopf in der polierten Messingtafel eines
aufwändig renovierten Gebäudes unweit der Place des 4 Dauphins, auf der
noch weitere sieben Namensschilder angebracht waren. Dies musste Seefelders Wohnsitz
in Aix sein, oder vielleicht nur einer der vielen Standorte, die dessen Konzern
in Frankreich unterhielt, zu welchen Zwecken auch immer. Vermutlich hatten Ed
und Seefelder sich hier getroffen. Aber war dies auch ein Ort der Begegnung von
Valerie und Seefelder, ein diskretes Refugium für Treffen oder konspirative
Vereinbarungen?
Auf der Fahrt nach Aix hatte er über die Möglichkeiten
nachgedacht, wie er unverfänglich ein Gespräch mit Seefelder eröffnen könnte,
letztendlich aber alle verworfen. Die Chance, Seefelder in Aix zu treffen,
erschien ihm ohnehin als sehr gering und es war mehr die Neugier, die ihn
hierher getrieben hatte. Es schien unwahrscheinlich, von Seefelder etwas zu
erfahren, das Licht in das Geschehen brachte. Er hätte die bisher ergebnislose
Suche nach Pauline am Vormittag abbrechen sollen, war aber doch stärker daran
interessiert, Valeries Position zu ergründen, als er sich zunächst eingestehen
wollte. Im Zuge der bizarren Ereignisse, die sich in den vergangenen Tagen
ereignet hatten, war schleichend die Nähe und Vertrautheit zwischen ihnen
gewachsen. Valerie war ihm wichtig geworden.
Er betrachtete, unschlüssig darüber, was er als Nächstes
machen sollte, die ockerfarbenen Fassaden, aus denen, an schwarzen Eisenbügeln
auskragend, altmodische Laternen den historischen Charakter des Viertels
unterstrichen. Dann drückte er mehrfach den Klingelknopf beim Kürzel SBT. Tief
im Inneren des Gebäudes konnte er schwach einen
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