Grün. Le vert de la Provence
eingeschnitten.
Drei weitere Seiten lagen neben dem unbespannten Instrument, das in einer Ecke
hinter der Tür stand, durch die der ahnungslose Baudouin in den Raum getreten
war. An den Enden der Saite war zu erkennen, dass der Täter sie sich um die
Hände geschlungen hatte.
„Ohne feste Handschuhe oder Tücher an den Händen wird das
nicht gegangen sein“, bemerkte Gauthier. „Und selbst dann müsste es Spuren oder
möglicherweise sogar tiefe Schnitte hinterlassen haben.“ Er zeigte Vidal eine
Plastiktüte mit einem Papierstück darin. „Das haben wir in einer der Taschen
des Opfers entdeckt. Da steht eine deutsche Mobilfunknummer drauf!“
„Und?“
„Die Kollegen konnten das sehr schnell klären. Den
Teilnehmer kennen wir!“, er schwang bedeutungsvoll die Plastiktüte vor Vidals
Augen hin und her. „Anselm Bernhard! Ich glaube, wir können zunächst auf eine
Handyortung verzichten, oder?“
„Scheiße!“ Vidal ballte die Faust und klopfte sie gegen
sein Kinn. „Weißt du, was für ein Auto der Mann fährt? Einen Range Rover! Damit
wäre der Pfad durch die Berge kein Problem.“ Er sah eine Weile auf die
Blutlache am Boden, von der ein uniformierter Polizist beständig die Fliegen zu
verscheuchen suchte. „Die sollen von Prades aus einen Wagen zum Haus von
Baumann schicken“, sagte er schließlich. „Wenn er da nicht zu finden ist,
landesweite Fahndung.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Nein, keine
Fahndung! Eine Suche nach einem wichtigen Zeugen! Wir hätten ihn am Freitag
doch nicht so schnell gehen lassen sollen.“
Rue Cardinal
Der Kellner stellte den Grand Café mit elegantem Schwung
vor ihn auf den Bistrotisch. Der Mann trug eine lange weiße Schürze und sah ihn
nicht einmal an. Die Arroganz schien geübt. Les Deux Garçons war eine
Touristenattraktion. Wer unter dem dunkelgrünen Baldachin saß und das Leben auf
dem Cours Mirabeau beobachtete, kam, weil Cezanne, Zola, Picasso und
Hemingway hier schon gesessen hatten, und nicht des Services oder der Küche
wegen. Auch die verschlissenen, altmodisch gebundenen Speisekarten, mit dem
geschwungenen Kürzel 2G auf dem Kartondeckel, die eine große gastronomische
Tradition suggerierten, konnten nicht darüber hinwegtäuschen.
Anselm war die Geste der Überheblichkeit gleichgültig.
Die Rolle des Touristen war praktisch. Seit er in Aix-en-Provence angekommen
war, empfand er dies als brauchbare Legitimation für seinen Aufenthalt in der
Stadt.
Am Samstagvormittag war er noch auf dem Markt in Montigny
gewesen. Bei der Suche nach Pauline hatte ihn das auch nicht weitergebracht.
Zwar hatte ein Käsehändler versprochen, den Kontakt zu dieser Frau aufzunehmen
und ihr Anselms Telefonnummer weitergeben zu wollen, besonders glaubwürdig war ihm
diese Zusage aber nicht vorgekommen. Er hatte danach in einer Bar einen Kaffee
getrunken und erneut in einem Buch von Christoph Seefelder geblättert, das er
in Baumanns Bibliothek gefunden hatte. Es war in Eds Verlag erschienen, in
einer Sachbuchreihe und vom Titel an als ein Instrument der
Öffentlichkeitsarbeit für Bioscience-Unternehmen konzipiert: Die
pharmakologische Nutzung pflanzlicher Wirkstoffe. Eine Verpflichtung der
Bioscience zur nachhaltigen Verbesserung der Weltgesundheit.
Seefelder betonte bereits in seiner Einleitung das Recht
der Menschheit auf die industrielle Nutzung pflanzlicher Wirkstoffe. Ganz
selbstverständlich wob er in die weitschweifigen Ausführungen den enormen
Aufwand und das ungeheure Verdienst der Konzerne ein, die aus dem unerschlossenen
Wissen von Naturvölkern erst globale Segnungen schufen und so ein legitimes
Anrecht auf die kommerzielle Verwertung dieser Leistung erwarben. Seefelder
griff dabei tief in die emotionale Kiste. Er nannte immer wieder den
unzweifelhaften Nutzen pflanzlicher Wirkstoffe in bekannten Produkten wie die
bereits von Indianern aus Weidenrinde gekaute Salicylsäure, der Wirkstoff in
Aspirin, oder das aus dem Schimmelpilz Penicillium notatum gewonnene
Penizillin.
Das Buch bemühte einen Sprachgebrauch, der komplexe
Zusammenhänge vermeintlich verständlich, tatsächlich aber drastisch verkürzt
erklärt. Der wissenschaftliche Anspruch wurde dann durch zahllose Zitate und
Fußnoten dargestellt. Immer wieder hatte Seefelder auch mögliche Kritikpunkte
aufgegriffen und umgehend mit Argumenten entkräftet, die von einem fachfremden
Leser kaum hinterfragt werden konnten. Sprachlich wichen diese Passagen
deutlich vom übrigen Text ab
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