Grün. Le vert de la Provence
Summton vernehmen. Nichts
geschah, so dass er sich schließlich in die Schar der Touristen einreihte, die
im nahen Musée Granet die seltsame Mixtur von Exponaten bewundern würden,
vielleicht aber auch nur für eine Zeitlang der unerträglichen Hitze entfliehen
wollten. Cézanne hatte Kurse in der Malschule belegt, die in diesem Gebäude
untergebracht war. Die Sammlung aus archäologischen Fundstücken,
Kunstgegenständen, Bildern und Skulpturen hatte den Studierenden als
Unterrichtsmaterial gedient. An den bekanntesten Sohn der Stadt erinnerten in
der Sammlung Granet nur verhalten neun recht kleinformatige Ölgemälde und
einige nur alle drei Jahre ausgestellte Zeichnungen und Aquarelle. Anselm war
enttäuscht. Nicht eine von Cézannes Landschaftsimpressionen der Montagne
Sainte-Victoire , deren steil aufragende Kalksteinwand ihn bei seiner Anfahrt
auf die Stadt so völlig fasziniert hatte, war im Museum zu finden.
Seine samstäglichen Ermittlungsversuche waren dann
schleichend einem touristischen Erleben gewichen. Der Zauber von Aix hatte ihn
eingefangen, umsponnen und in eine wohlige Lethargie gleiten lassen. Wärme,
Düfte, die Schönheit der Stadt, die zahllosen attraktiven Frauen und
schließlich ein exzellentes Essen in der Begleitung kalten Rosés hatten
nachhaltig alle Gedanken an investigative Aktionen aus seinem Bewusstsein
verdrängt.
Am Sonntagvormittag startete er einen weiteren Versuch,
Seefelder in der Rue Cardinale anzutreffen. Diesmal meldete sich auf sein
Klingeln hin eine Haushälterin. Es sei außer dem Personal niemand im Haus,
sagte sie durch die Gegensprechanlage. Anselm hinterließ ihr seine Handynummer
und die Bitte, Herrn Seefelder auszurichten, er sei bis circa elf Uhr in Aix
erreichbar. Nach kurzer Überlegung fügte er hinzu, er würde im Deux Garçons warten. Seefelder, dessen Porträt er von dem Umschlag des Buches aus Eds Verlag
her kannte, erschien aber nicht.
Kurz bevor er das Deux Garçons verlassen wollte,
schlenderte ein Mann gemächlich an den Tischreihen entlang. Er fixierte Anselm
und lächelte leicht, als sich ihre Blicke begegneten. Der Mann schien
Südamerikaner zu sein. Ein sehr dunkelhäutiger Latino, dessen gepflegter
dunkelgrauer Anzug auffiel. Trotz der Hitze und zunehmenden Schwüle dieses
Vormittages schien den Mann die konventionelle Bekleidung nicht zu
beeinträchtigen.
In einem Anflug schlechten Gewissens darüber, ihr
misstrauend ohne Ankündigung nach Aix gefahren zu sein, rief er danach Valerie
an. Sie war kurz angebunden, ohne ihn beim Namen zu nennen und sprach
französisch mit ihm, während sie sonst meist auf Deutsch miteinander sprachen.
Unvermittelt sagte sie, während er noch den Grund seiner Fahrt erläuterte: „Ist
gut Lieber. Ich hatte sowieso keine Zeit. Wir telefonieren dann nächste Woche
noch einmal. Ciao!“, und beendete das Gespräch. Lieber? Offensichtlich hörte
ihr jemand zu, der nicht erfahren sollte, wer ihr Gesprächspartner war.
Als Anselm den Cours Mirabeauverließ, fegten
heftige Böen durch die Straßen und wirbelten Staub und vertrocknete Blätter
auf. Das provenzalische Blau des Himmels war der Farbe von Aluminium gewichen.
Eine halbe Stunde später war die Aluminiumfärbung in den Ton von dunklem Blei
übergegangen. Von der Ausfallstraße in Richtung Avignon zurückblickend,
kontrastierte das Kalkweiß des felsigen Südhangs der Saint-Victoire unwirklich
mit der bedrohlichen Wolkenkulisse. Auf der Autobahn angekommen, entlud sich
dann der mittlerweile nachtschwarze Himmel in einem Unwetter von
apokalyptischem Ausmaß. Sintflutartige Regenfälle schwemmten die verbrannte
Erdkruste in Lawinen von den Hängen und Böschungen über die Fahrbahn. Die
Provence versank in einem Inferno.
Hinter der Mautstelle breitete sich eine undurchsichtige
Wand herabstürzenden Regens aus, an der sich die Scheinwerferlichter der
anfahrenden Fahrzeuge und zuckendes Blaulicht brachen. Von rechts erkannte
Anselm heranrasende Polizeimotorräder, die, kaum auf seiner Höhe angekommen,
den Rover umringten und von der Fahrspur an den Rand drängten. Als er aus dem
Wagen stieg, hatten ihn bereits zwei hinzugekommene Polizeifahrzeuge
eingekeilt.
Gift für Sokrates
„Warum ist da ein roter Punkt auf dem Schild?“, fragte
das Kind. Es stand mit leicht gespreizten Beinen vor dem Beet, die Hände an den
steif nach unten gerichteten Armen vor dem Bauch übereinandergelegt. Das kleine
Kinn war leicht emporgehoben, so dass sein Blick von oben auf
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