Grün. Le vert de la Provence
Bewusstlosigkeit
hochprozentigen Likör getrunken hatte. Dies ließ darauf schließen, dass der
Täter ihre heimliche Leidenschaft für Schnaps gut gekannt und ihr die Flasche
hingestellt hatte. Sie war damit hinlänglich beschäftigt gewesen, was ihm eine
ungestörte Suche im Haus ermöglicht hatte, die erfolgreich gewesen zu sein
schien. Aus einem Schrank in der oberen Etage waren mehrere Bücher entfernt
worden. Es gab Schleifspuren von Buchdeckeln im Staub, zu denen keines der
herausgerissenen und am Boden liegenden Bücher passte. Zudem ließen
Schleifspuren im Staub den Schluss zu, dass die Bücher dort erst vor nicht
allzu langer Zeit abgestellt worden waren. Vidal hatte von diesem Punkt seines
Netzplans aus einen Pfeil und ein Kästchen gemalt, in das er „Buchregal
Mordzimmer Hof Pauline Bouchet prüfen“ geschrieben hatte.
Das Feuer war dann allem Anschein nach vorbereitet worden,
hatte das Ziel aber dennoch verfehlt. Die Brandsachverständigen gingen davon
aus, dass Olivenöl ausgeschüttet worden war. Ein geöffneter Kanister mit dem
restlichen Öl war dann zu einem Brandverstärker geworden. Der randvoll mit Holz
gefüllte Ofen hatte seine ganze Glut erst entfaltet, nachdem der Täter schon
lange aus dem Haus war. Brennende Topflappen, Küchentücher und das verschüttete
Öl setzten schließlich eine Kettenreaktion in Gang.
Offen blieb die Frage, wo Alain zu dem Zeitpunkt gewesen
war.
Drei Morde reihten sich damit innerhalb von einer Woche
an den Tod von Edgar Baumann. Alle Opfer waren mit Baumann bekannt, und das
Mädchen sogar seine Todesursache gewesen.
Was waren die Motive? Oder gab es nur ein Motiv? Einen
Zusammenhang aller Taten, eine perfide Strategie? Nur einen Täter? Einen
Auftraggeber? Oder eine Auftraggeberin?
Zudem schien es, als sei keines der Opfer tatsächlich
gezielt ausgesucht worden, sondern zufällig im Weg gewesen, und dass es
hinreichender Ortskenntnisse des Täters für die Taten bedurft hatte. Dies
begrenzte den Kreis der potenziell Verdächtigen, und Valerie Baumann rückte
zunehmend in den Mittelpunkt dieser Mordserie. Festhalten konnte Vidal sie aber
nicht. Dienstag würde sie nach Köln abfliegen und die Überführung ihres toten
Ehemanns begleiten. Damit wäre sie seinem Zugriff zunächst entzogen. Immerhin
waren dann die deutschen Kollegen für ihre Sicherheit verantwortlich. Einen
permanenten Begleitschutz hatte sie abgelehnt, und eine vollständige
Überwachung des Grundstücks war praktisch unmöglich. Es blieb ihnen nicht viel
mehr, als am Anwesen Präsenz zu zeigen, auf eine möglichst lückenlose
Videoüberwachung zu hoffen und das Duo Baumann-Bernhard so weit wie möglich
unter Kontrolle zu behalten.
Von Alain fehlte weiterhin jede Spur. Das Kennzeichen
seiner Enduro war an alle Polizeidienststellen geleitet worden und nachdem der
Brand auf mögliche Fremdeinwirkung zurückzuführen war, hatten sie eine
Hundestaffel zum Plateau hinaufgeschickt, die jetzt das weitläufige Areal systematisch
nach Spuren von ihm durchkämmte. Er hatte sehr früh am Morgen noch die Ziegen
auf eine der Wiesen getrieben und zusätzlich Heu und Wasser mit dem Traktor
dorthin gebracht. Zu diesem Zeitpunkt schien er schon davon ausgegangen zu
sein, sich länger als es die Tiere gewohnt waren, nicht um sie kümmern zu
können.
Die ermordete Melissa Lindner war noch immer ein relativ
weißes Blatt in ihren Ermittlungsakten. Die deutschen Kollegen hatten die
Fragen noch nicht beantwortet. Immerhin ergab die Auswertung ihrer
Kreditkartenzahlungen in Frankreich ein klares Bewegungsbild. Es verdichteten
sich die Hinweise, dass sie Baumanns wegen in die Provence gefahren und sich
ihm systematisch angenähert hatte. Vielleicht im Auftrag. Sex als Mittel der
Zielerreichung.
Aber was war das Ziel? Beischlaf bis zum Tod? Mord durch
Kopulation? Die Möglichkeit, dass es sich um Auftragssex gehandelt hatte,
machte ihren eigenen Tod ein Stück plausibler. Sie war nach Erledigung ihrer
Aufgaben zum Risiko geworden.
Ihr Mörder könnte auch der des Käsehändlers gewesen sein.
Die scheinbare Beiläufigkeit war ebenso auffallend wie das Fehlen von Spuren.
Bislang jedenfalls. Manchmal half eben doch der Zufall. Wie jetzt. Und er half
dort, wo man es überhaupt nicht erwartete, am Stadtrand von Avignon, auf einem
Feldweg. Der Zufall ließ dort ein Hündchen beim Gassi gehen einen
Metallgegenstand erschnüffeln, den Frauchen als Pistolenkugel identifizierte.
Die herbeigerufene Gendarmerie leitete das
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