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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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verankert sind) und versuche gerade auf dem einen bloßen Fuß zu stehen, während ich dem anderen Socke und Stiefel überstreife, da fliegt die Tür auf und zwei Betrunkene, so rot im Gesicht und auf den blasigen nackten Armen, als wären sie in einem Tandoori-Ofen gebacken, torkeln heraus und glotzen in den Regen. »Mist«, sagt der zu meiner Rechten, und ich spähe an ihm vorbei in die Kneipe hinein, um zu sehen, ob Andrea schon da ist, »da können wir ebensogut noch einen trinken.« Sein Begleiter blinzelt die Sintflut an, als hätte er noch niemals Wasser gesehen – und vielleicht ist es so, vielleicht stammt er aus Brasilien oder Neuseeland oder einem der anderen Wüstenstaaten –, dann sagt er: »Geht nicht. Muß nach Hause zu« (man setze einen Vornamen ein) »und den Kindern und dem Hund und den Ratten auf dem Dachboden... aber scheiß auf dieses Wetter, echt zur Hölle damit!«
    Ich atme tief durch, mogle mich an ihnen vorbei und betrete das Restaurant. An dieser Stelle sollte ich wohl sagen, daß Swensons Kneipe nicht gerade der eleganteste Laden ist – Eleganz ist nur was für die Reichen: Computerreparaturtypen, Filmheinis, Popstars wie Mac –, aber sie hat ihre Reize. Der Eingang gehört allerdings nicht dazu. Gleich rechts ist ein leeres Aquarium in einem Zementblock eingemauert, links befinden sich Garderobenhaken und ein Schirmständer. Musik dringt auf einen ein – Oldies, die ehrwürdig ergrauten, unentrinnbaren Hits der Sechziger, mörderisch aufgedreht für taube und zahnlose Zeitgenossen wie mich –, dazu ein Gemisch von Körperdüften und eine Feuchtigkeit, wie man sie eher im schwarzen Loch von Kalkutta erwarten würde. Keine Klimaanlage natürlich, bei den Stromsperren und dem schlicht astronomischen Preis pro Kilowattstunde. Geradeaus liegt die Bar, links ist der Speisesaal, getäfelt mit nicht zueinander passenden Kiefernbrettern, die aus den klassischen kalifornischen Ranchhäusern zusammengesammelt wurden, bevor die sich dem historischen Imperativ der Minieinkaufszentren und Apartmenthäuser ergaben. Ich gehe geradeaus, an der Bar herrscht Hochbetrieb, Shiggy sieht kurz von seinem Mixbecher auf und nickt mir zu, aus den gepeinigten Lautsprechern quillt irgendein antiquierter Quatsch von wegen man solle sein Pony reiten.
    Keine Andrea. Ride your pony, ride your pony . Mein Ellenbogen findet die Theke, der billige Sake (schmeckt nach Maschinenöl, die Destille ist im Ort) findet mich, und ich schaue mich noch einmal um. Ich nehme sogar die Brille runter und wische sie am Ärmel ab, eine Geste, die mir so vertraut wie das Atmen ist. Setze sie wieder auf. Mustere die Gesichter jetzt ganz genau, tilge Falten, Alters- und Leberflecken, zieheMünder und Augen aus ihren Furchen hervor, glätte hier eine Stirn, lifte dort ein Kinn, und immer noch keine Andrea. (Swensons Publikum, falls sich der Leser wundert, rekrutiert sich ausschließlich aus den Jungalten, dem am schnellsten wachsenden Segment der US-Bevölkerung, von denen ich – in Anbetracht der Alternative – ein widerwilliger, aber doch dankbarer Teil bin.)
    Am Ende der Theke fängt eine Frau in Rot meinen Blick auf – das heißt, ich fange ihren auf –, und mein Blut rast wie das eines Teenagers, bis mir klar wird, daß sie keine fünfzig sein kann. Ich sehe noch einmal hin, als sie sich wegdreht und einen Lacher als Reaktion auf irgend etwas ausstößt, das der pensionierte Zahnarzt neben ihr gerade sagt, und ich sehe, daß alles daneben ist: Andrea, und hier ist mir völlig egal, wie alt sie jetzt sein mag – sechzig, fünfundachtzig, hundertzehn –, besitzt das Doppelte an Ausstrahlung. Das Zehnfache. Ja, sicher. Es ist nicht Andrea. Nicht mal entfernt. Aber ist es deshalb weniger deprimierend, mir einzugestehen, daß ich hier im Grunde auf wehen Knien herumstehe, in einem schicken Hemd und mit einer klatschnassen Baskenmütze, die auf meinem kahlen Kopf wie ein Chili-Käse-Omelette aussieht, und auf ein Phantom warte? Noch dazu auf ein blutsaugendes Phantom?
    Ride your pony, ride your pony . Was hat Yeats über das Alter gesagt? Nicht, daß man sein Pony reiten soll. Ein alter Mann ist ein erbärmlich Ding, das sagte er. Zerlumpter Rock über einen Stock gehängt. Brillant formuliert.
    Aber was fühle ich da imNacken? Etwas Feuchtes. Wasser. Allgegenwärtiges Wasser. Ich blicke auf, von den Platten an der Decke tropft es, dann sehe ich auch den Plastikeimer zwischen meinen Füßen – ich stehe praktisch drin –, als ich

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