Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
flüsterte Andrea heiser, »und du schlägst zu, Ty, prügel ihm die Seele aus dem Leib.« Ja. Und dann hörten sie den Pfiff weiter hinten, und da saß das Murmeltier, dieses fette, dumme Ding, und lugte aus einem weiteren Ausgang seines Baus.
    Dreißig Tage sind eine lange Zeit zum Naturspielen. Eine unendlich lange Zeit. Aber sie lernten aus ihren Fehlern, bis sie es irgendwann, dank Koordination und höchster Konzentration, doch irgendwie zu einem Hungerdiät-Speisezettel brachten, wobei sie immer wieder über Urgroßvater Knowles und das enorme Durchhaltevermögen staunten, das er besessen haben mußte. Mit der Zeit fingen sie doch ein paar Tiere, die sich essen ließen. Sie trieben Fische in flache Tümpel und angelten sie mit einer Art Kescher heraus, den Tierwater eines Nachmittags gebastelt hatte (meist war es die geschützte Goldforelle, Salmo aguabonita , aber auch Plötzen und Weißfische); sie sammelten Grillen, Grashüpfer und Beeren; sie rotteten eine ganze Kolonie von Süßwassermuscheln aus, die nach Schlamm und unverdauten Algen schmeckten. Sie plünderten Vogelnester, kauten ständig auf Zweigen herum, um den Hunger niederzukämpfen, der sie Tag und Nacht quälte, und sie lungerten wie Flüchtlinge um Chris Mattinglys Camp herum, an der eigenen Spucke würgend. Des Nachts, wenn sie in Laub gewickelt dalagen, wenn die Stille herabsank und kein Geräusch mehr zu hören war bis auf das Plätschern und Gurgeln des Flusses, der sich immer tiefer ins Land grub, da träumten sie von Essen. »Erdnußbutterkekse«, murmelte Andrea im Schlaf. »Cheeseburger. Nachos. Für mich bitte nur kurz angebraten.«
    Die Tage dehnten sich, jeder für sich eine Ewigkeit, tierische Tage, Tage ohne Bewußtsein oder bewußte Gedanken. Keine Bücher. Kein Fernsehen. Kein Sex. Jeder wache Augenblick wurde verwandt auf ein rastloses Irren und Wandern auf der Suche nach Nahrung, und es gab auch keine festen Essenszeiten, nicht bei Tagesanbruch, zu Mittag und am Abend. Nein, sie stürzten sich einfach nur auf alles, was es ihnen zu fangen oder sammeln gelang – Beeren, Blätter, ein Eidechsenpärchen, zu Brei zermalmt von einem exakten Schlag auf den Schädel –, und sie aßen gierig, keine Zeit für Tischmanieren oder Selbstverzicht oder auch nur einfache Höflichkeit, keine andere Zeit als die Urzeit. Andrea war mit der Natur aufgewachsen. So lange sie sich erinnern konnte, war sie gewandert und geritten, war angeln und zelten gegangen, sie hatte das Blut des verrückten Einsiedlers Joseph Knowles in den Adern, trotzdem war das hier zuviel für sie, Tierwater spürte es, noch ehe die erste Woche vorbei war. Und auch für ihn war es zuviel, zuviel Leiden, nur um etwas zu beweisen, obwohl es auch Momente gab, in denen er in das flüssige Tosen des Wassers hinab- oder zum hungrigen Himmel emporstarrte und sich reingewaschen fühlte, kein Gedanke an Sierra, die am Lake Witcheegono im Staat New York bei ihrer Tante Phyll untergebracht war, kein Gedanke an Sheriff Bob Hicks oder das grausige Gewicht der Gefängnistür, die hinter ihm zuschlug, oder die geschäftigen Kriege der Gier und des Konsums, die mit der Regelmäßigkeit von Jahreszeiten die Welt heimsuchten.
    Tierwater verlor elf Kilo, Andrea acht. Sie waren Strichmännchen, alle beide, hart und braunglänzend wie frisches Leder, und sie fanden kaum die Kraft, sich am letzten Tag ihres Exils aufzuraffen und den Cañon wieder zu verlassen. Chris Mattingly ging mit dynamischen, ausgreifenden Schritten voran, ein Mann, der tief in sich ruhte, und während des gesamten Rückwegs sprach keiner ein Wort. Der Pfad führte allmählich aus der Schlucht hinauf in höhere Lagen, und Tierwater mußte alle zehn Minuten rasten, um seine Energien zu sammeln, Andrea torkelte auf dürren Beinen neben ihm her wie eine heimliche Säuferin, über ihnen der Himmel, der sich willkürlich ausdehnte und zusammenzog, bis sie beide derart rasende Kopfschmerzen hatten, daß sie kaum noch etwas sehen konnten. Aber es war es wert gewesen, wirklich, denn als sie ankamen – bei dem großen Felsblock, wo alles begonnen hatte –, warteten dort rund fünfhundert Menschen zu ihrer Begrüßung, und sie jubelten so laut wie eine doppelt so große Menge.
    Teo war da, Reporter mit Minicams und blitzenden Fotoapparaten, Kinder, Hunde, E.F.!ler, Keramik-, Kristall- und Totemverkäufer und alle Einwohner von Big Timber, angetan mit Flanellhemd und Jeans. Declan Quinn stand ganz vorn dabei, die hutzlige Kugel

Weitere Kostenlose Bücher