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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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unangenehm werden. Dann kamen die Klauen ins Spiel, und das schreiende Opfer wurde in die Nacht verschleppt. Bei einer zufälligen Begegnung im Busch dagegen gab es keine Chance. Da tat der Löwe eben, was Löwen nun einmal taten.
    Knurrt er? Oder faucht er? Ich weiß es nicht, aber ich packe Andrea am Arm und zerre sie ungelenk in den leeren Raum unter dem Tisch, Stühle scharren, irgendwer schreit, Gott höchstpersönlich wird von einem der Als beschworen – von dem, der kurz darauf wie eine Wassermelone aufgeschlitzt und durch das Zimmer geschleudert wird, während Dandelion geifernd und brüllend auf Mac losgeht. Wieso Mac? denke ich mir, während ich mit Andrea im Schlepptau zur Tür haste und April loskreischt und der überlebende Al eine lächerlich kleine Pistole aus dem Lederhalfter unter seinem Arm zu ziehen versucht, aber man denkt eigentlich nicht allzuviel unter derartigen Umständen. Das Gebrüll allein genügt schon, einem das Herz stillstehen zu lassen – und ich habe Dandelion noch nie so gesehen, so aufgebracht und zornig, so wütend und tobend und bissig –, aber dazu gesellt sich der Anblick von Blut. Schlimmer noch, der Anblick von Mac – unserem Wohltäter, Dandelions Wohltäter, dem Garanten von Fleisch, Geld, ärztlicher Versorgung und Freundschaft, dem wahrhaft treusorgenden Freund der Tiere –, wie er ganz still in der Wiege seines umgestürzten Stuhls liegt. Sein Hut ist weg, die Sonnenbrille zerbrochen, die Aalpeitschen saugen sich mit Blut aus der Kopfhaut voll wie die grellroten Spitzen eines Malerpinsels. Andrea schreit mir irgend etwas ins Ohr, und die Tür zum Korridor schließt sich vor der Szene, schließt sich fest, Ratchiss’ schweres Jagdgewehr ist unten im Erdgeschoß, und es gibt keine Hoffnung für irgendwen oder irgend etwas auf dieser Welt mehr.

Teil 3
Wildnis Amerika

Lompoc/Los Angeles, September–Oktober 1991

    Viel seltsamer hätte der Übergang wohl kaum sein können – vom Penishalter und von endlosen Horizonten geradewegs in die Gefängniskluft und hinter einen vier Meter hohen Maschenzaun mit Stacheldrahtspiralen obendrauf. Tierwater ließ die Beine vom oberen Bett im Zimmer (nicht Zelle, Zimmer ) baumeln, das er mit Bill Driscoll teilte, einem Börsenschwindler, Profibetrüger und bundesstaatenübergreifenden Abzocker älterer Menschen, und ließ sich das durch den Kopf gehen. Die meisten Verbrecher, ob nun aus der Ober- oder Unterschicht, wurden entweder bei der Tat ertappt oder um vier Uhr früh aus dem Bett geholt, aber wie viele von ihnen wechselten schon aus der freien Natur unvermittelt zu Zivilisation und Gefangenschaft zurück? Tierwater stellte sich einen Desperado im Wilden Westen vor, der gerade noch in seinem Kanincheneintopf gerührt hat und auf einmal ins Bezirksgefängnis von Yuma geworfen wird. Oder die Buschmänner, gejagt und versklavt von ihren berittenen Burenmeistern. Oder nach krasser: ein in freier Wildbahn gefangenes Tier, ein von Onkel Sol aus den Bäumen geholter Orang-Utan, der hektisch am fremdartigen Maschendraht seines Käfigs kaut, ein im Kraal in die Falle gelaufener und an einen Pfahl geketteter Elefant, ein an den Flügeln gestutzter Adler.
    Aber wenn er sich fühlte wie ein Tier, so war er jedenfalls kein wildes, kein Raubtier – nein, er kam sich eher wie ein Haustier vor, ein Kinderpony mit der Schnauze im Futtersack, der verfettete Schoßhund, der sich auf dem Teppich vor dem Kamin einrollte. Im vergangenen Jahr hatte er sich dreißig Tage lang von Wurzeln, Insekten und Fischen ernährt, die nicht länger als sein Zeigefinger waren, aber seit sie ihn hier eingesperrt hatten, aß er für drei: Grillhähnchen mit Kartoffelbrei, Sahnetorten, Hamburger, Pizza, Spaghetti, Pommes frites und Zwiebelringe, drei Kugeln Eiscreme mit Schokosoße und dazu eine Kräuterlimo zum Runterspülen. Zum erstenmal im Leben hatte er einen Bauch, und er hatte sogar so etwas wie ein richtiges Hinterteil entwickelt, um seine Sträflingshosen auszufüllen. Das war das eine, und außerdem ging es in diesem Knast – Club Fed nannten sie ihn – nicht wesentlich strenger zu als in einem Pfadfinderlager. Aber Pfadfinder dürfen irgendwann nach Hause, und wie man es drehte und wendete, Tierwater war eben doch im Gefängnis – weggesperrt, eingekerkert, getrennt von Frau und Tochter, seinem Scheckbuch und der guten Sache –, und er hatte nichts getan, um das zu verdienen.
    Sie hatten ihm den Waldbrand anhängen wollen und die Zerstörung der

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