Grün war die Hoffnung
Bewegung packt sie den Ast über sich und schwingt sich empor wie ein Akrobat, ihre Füße umklammern die rutschige gewellte Rinde, und sie klettert hoch in den Wipfel, während er ihr hinterherhastet, und hier gibt es keine Sicherungsseile, weder für sie noch für ihn. »Komm zurück, du kleines Dreckstück!« brüllt er, bohrt seine Spikes in die Borke und kämpft sich hinauf. Zur Belohnung kriegt er einenHaufen Redwoodrinde, Fasern und Splitter ins Gesicht, die von ihren Füßen abgetreten wurden und ihm jetzt in Augen, Nase und Mund rieseln.
Climber Deke ist ein Holzfäller. Ein Waldläufertyp. Er ist behende, und ihm fehlt es weder an Muskeln noch an Selbstsicherheit. Wenn sie spielen will, dann spielt er mit. Sie klettert weiter nach oben. Er auch. Was kann sie denn letztes Endes tun? Sich Flügel wachsen lassen und davonfliegen?
Er kennt meine Tochter nicht. Sie sucht sich einen Ast und klettert darauf nach außen. Und als er diesen Ast erreicht und ihr gegenübersteht, rund drei Meter entfernt, da hält er inne. Redwoodholz neigt zum Brechen. Die Bäume werfen immer wieder Äste ab, während die Krone höher wächst und die unteren Zweige ihre Funktion verlieren. Der Ast, auf dem Sierra jetzt kauert, trägt sicher keine zwei Menschen – aus Climber Dekes Perspektive sieht es sogar so aus, als würde er auch einen nicht mehr lange aushalten. Und was sagt er, als er meine Tochter so dicht vor sich hat, gut sechzig Meter über der Erde? »Du Fotze«, das sagt er. »Du Baumschützerfotze.«
»Nur zu«, sagt sie, »fluch, soviel du willst.« Der Regen hat zugelegt. Tief unter ihnen flitzt ein Helmspecht ( Dryocopus pileatus ) durch die Lichtbalken, breitet die Schwingen aus, dann senkt er sie mit einem hörbaren Schlag seiner harten schwarzen Federn und hebt sie wieder. »Aber auch wenn fünfzig Kerle wie du hier wären, ihr könntet mich nicht von diesem Baum herunterholen.«
Der Regen wird noch stärker, er rinnt an den Nadeln hinab, und die furchige, spröde Rinde bahnt den Weg für zahllose winzige Bächlein und Kaskaden. Die Nässe klatscht Climber Deke das Haar an den Kopf, hängt ihm in Tropfen im Bart. Er flucht noch einmal, knapp und hart.
»Ja, fünfzig«, faucht meine Tochter. »Ich sterbe lieber hier oben, als mich von so einem jämmerlich feigen Schlappschwanz wie dir auch nur anfassen zu lassen.«
»Dann stirb«, sagt er. »Stirb. Wir werden diesen Baum fällen, ob du nun draufsitzt oder nicht.«
Unsere Kündigung kommt gleich in der ersten Woche. Wir – Andrea, April Wind, Chuy, die Tiere und ich – haben das Haus innerhalb von dreißig Tagen zu räumen. Die beteiligten Parteien und ihre Juristenschwadronen haben sich auf eine Verwalterin geeinigt, und die will uns und unsere Menagerie loswerden, »um weiteren Schaden am Grundstück und den Sachwerten von Melisma House in Santa Ynez, Kalifornien, zu verhindern«. Melisma House. Ich wußte nicht mal, daß das Haus einen Namen hatte. Mac hat ihn bestimmt nie verwendet – er nannte es nur »die Ranch«, wenn er es überhaupt irgendwie nannte. Tja: nun hat dieser Ort einen Namen, und wir sind dort nicht mehr willkommen.
Ich bin im Besitz dieser Information, weil ich als einziger vor dem Haus stehe und bei dreiundvierzig Grad einen Hitzschlag riskiere, als der Bote eintrifft (jawohl, Bote: die lassen uns das Ding persönlich aushändigen, wie eine Vorladung). Es ist erst elf Uhr morgens, die Sonne ist in diesem Leben noch nie woanders gewesen als genau über mir, und Chuy und ich, hoffnungslose Narren und optimistische Pessimisten, die wir sind, versuchen gerade, aus dem Strandgut entlang der Ufer des nunmehr offiziell ausgetrockneten Pulchris River neue Käfige für die Honigdachse, Petunia und die Pekaris zu zimmern. »Yo!« ruft jemand, und das ist wieder so ein jungjunger Typ in einem Anzug von der Größe und Farbe eines Rettungsfloßes (extrem hip, wie ich höre) und mit einer dieser Frisuren, die ein Gesicht überflüssig machen. »Yo«, wiederholt er. »Sie sind Tierwater?«
Bin ich. Und ich klappe meine Brille auf und lese die Mitteilung in Ruhe, während Chuy mit einem fünf Meter langen Brett aus Synthetikholz kämpft (denken wir an Plastik; Kunstharz und die pulverisierten Überreste zermahlener Autoreifen), das früher mal die Fassade der Apartments gegenüber zierte. Das ist der Todesstoß, der letzte Nagel im Sarg meines nutzlosen Lebens auf diesem nutzlosen Planeten, aber es wäre eine Lüge zu sagen, ich hätte nicht damit
Weitere Kostenlose Bücher