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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gerechnet. Trotzdem jagt es mir schreckliche Angst ein – die Angst vor dem Nichts, vor der ungewissen Zukunft und dem unausweichlichen Ende. Ich bin verloren. Ich bin verletzt. Ich habe weder Einkommen noch Zuhause, und der einzige Ehrgeiz, der mir jetzt noch bleibt, ist es, zu den Altalten zu gehören. Andrea , denke ich, Andrea wird wissen, was zu tun ist , und dann tragen mich meine Füße über die ausgebleichte Fläche vor dem Haus mit dem verdorrten Teufelsgras und den verdrehten, gummiartigen Fleischklumpen, die einmal Wanderwelse gewesen sind und jetzt überall herumliegen wie dunkle Wurfgeschosse aus einem zornigen Himmel. Eine mutierte Eidechse (zwei Köpfe, ein Bein) huscht unter einen Stein, um meinem Schatten zu entkommen. Meine Kehle ist trocken. »Mr. Ty«, ruft Chuy, »wohin Sie gehen?« Und was sage ich darauf, was krächze ich wie ein ausgemergelter alter Truthahn auf dem Weg zum Hackklotz? »Bin in einer Minute zurück.«
    Andrea liegt dahingestreckt auf dem Bett im Grunge Room, nackt. Und sie schwitzt. Sie sieht gut aus, vor allem an den Stellen, wo die Sonne schlechte Chancen hatte, ihre Epidermis zu ruinieren, und einen Sekundenbruchteil lang frage ich mich, wann wir zum letztenmal Sex hatten – uns liebten, wie wir es damals nannten –, dann wedle ich ihr mit der Kündigung im Gesicht herum.
    Sie wirft nicht einmal einen Blick darauf. »Diese Hitze«, sagt sie. »Schlimmer als in Arizona. Sei ein Schatz, Ty, bringst du mir was Kaltes zu trinken – vielleicht eine Cola light? Mit viel Eis drin?«
    Was soll ich da sagen? Sicher, Mausimaus? Soll ich dich auch mal mit einem nassen Schwamm abtupfen? Dir die Füße mit Alkohol einreiben? Ich weiß es nicht, denn unsere Beziehung ist keine ideale, und dies ist kein idealer Planet, und wir leben nicht in einer TV-Komödienserie. Moment: vielleicht doch – aber dann frag ich mich, wo die Komödie bleibt, weil das alles wirklich nicht lustig ist. Ich wedle mit dem Schriftstück, bis es den Hauch eines kühlenden Luftzugs erzeugt, und sie murmelt: »Ah, das ist angenehm, sehr lieb von dir, hör nicht auf...«
    »Es ist ein Räumungsbefehl«, sage ich mit ausdrucksloser Stimme. »Wir müssen in dreißig Tagen hier raus.«
    Andrea setzt sich auf, und das ist schade, denn ihre Brüste, die sich sehr wohlgefällig auf ihren Rippen verteilt hatten, als sie schwitzend auf der Bettdecke lag, haben nun keine andere Wahl, als der Schwerkraft zu gehorchen und ihr Alter zu zeigen. Sie reißt mir den Brief aus der Hand und beugt sich damit zum Licht (Brille hat sie keine nötig, weder zum Lesen noch sonst – sie hat sich mit einer Radialkeratotomie auf 75 Prozent Sehstärke im linken und 100 Prozent im rechten Auge optimieren lassen, und glaubt bloß nicht, daß sie mir das nicht ständig unter die Nase reibt).
    Als sie sich wieder umdreht, läßt sie das Blatt zu Boden fallen und betrachtet mich lange, als ob sie gerade eine Entscheidung trifft. »Ich weiß, wo wir hinkönnen«, sagt sie schließlich, und der Plural läßt mir das Herz hüpfen: klar, wir stehen das hier gemeinsam durch, oder?
    »Wohin?«
    »In die Hütte von Ratchiss.«
    Ich brauche einen Moment. »Ist der nicht tot?« (Es ist eine rein rhetorische Frage – oder eine strategische. Tatsächlich ist Ratchiss schon vor über zwanzig Jahren gestorben, ein Opfer der Natur und seines frevlerischen Sinneswandels. Angesichts der meteorologischen Katastrophen um die Jahrtausendwende war er anscheinend wieder auf die Jagd gegangen und hatte alles andere aufgegeben. Was soll’s, hatte er gedacht und sich in den Kopf gesetzt, als Vollstrecker der Ausrottung einer bestimmten Art, deren Schicksal ohnehin am seidenen Faden hing, in die Geschichte einzugehen. Er wählte den kalifornischen Condor, von dem damals gerade noch einhundertzehn Exemplare existierten, darunter rund fünfzig, die aus einem Nachzuchtprogramm des bald darauf aufgelösten Zoos in L.A. stammten und einfach ausgesetzt worden waren. So wie es mir zu Ohren kam, schoß er zwei von ihnen ab, als sie hoch oben über den einsamen Hügeln des Sespe Wildlife Area ihre Kreise zogen, und wollte gerade nachladen, um noch mehr zu erwischen, als einer der getroffenen Vögel aus dem Himmel niedersauste, mausetot und ausgerottet, und ihm mit der Wucht eines nassen Sonnenschirms, der über eine Klippe fällt, auf den Hinterkopf krachte. Er kam nicht wieder zu Bewußtsein.)
    Sie schürzt die Lippen und wirft mir diesen Blick zu, der früher Löcher in

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