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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Sierra, mit Augen wie der Boden eines Brunnens, drei grellroteStröme teilten ihr Gesicht in ein Delta aus Blut, und obwohl er alles und jeden haßte, obwohl er hinten in seinem Jeep einen Schweißbrenner, eine Sauerstoffflasche und einen Sack mit Siliziumkarbid liegen hatte, griff er in das kaputte Auto, zog sie heraus und hielt sie in den Armen, bis der Krankenwagen eintraf.
    Was bedeutete ihm das? Nichts, gar nichts. Klar, es waren alles Individuen da draußen, Mitmenschen, die für sich genommen Mitleid, Opfer und Liebe verdienten, doch das sprach sie nicht von der Kollektivschuld frei. Es gab zu viele Menschen auf der Erde, bereits sechs Milliarden, und es wurden immer noch mehr, eine uferlose Masse, Menschen wie Heuschrecken, und nichts würde ihren Ansturm überstehen. Tierwater brauchte nicht einmal eine Woche – das Heck des Jeeps wurde provisorisch wieder in Form gehämmert, sein Nacken steckte in einer antiseptischen weißen Halskrause, die wie eine Glühbirne geleuchtet hätte, wäre er nicht mit schwarzer Schuhcreme darübergegangen –, bis er erneut aktionsbereit war. Zuerst jedoch mußte er ein Essen mit Teo, Andrea und drei anderen E.F.!-Obermackern durchstehen, bei dem man Themen erörterte wie die Wählermeinung, den Kongreß, Rundbriefkampagnen und die Möglichkeiten zum verstärkten Ansprechen grün gesinnter Spender. Teo trug einen Vierhundertdollaranzug. Teo. Der Leberkopf . Der saß da, als hätte er die Nominierung zum Senator schon in der Tasche. Teller mit Phat Thai, Ingwershrimps und Glasnudeln kreisten auf dem Tisch. Niemand erwähnte auch nur mit einem Wort die Erde.
    Tierwater entschuldigte sich kurz vor der Nachspeise – »Mein Nacken bringt mich noch um«, sagte er und warf Andrea einen mitleidheischenden Blick zu, »Teo kann dich ja heimfahren, würdest du, Teo?« –, und in nicht einmal einer Stunde parkte er in einer ruhigen Sackgasse in der Siedlung, die höchstens einen Kilometer von dort entfernt war, wo General Electric (oder die Energiebehörde oder sonstwer, das war ihm alles einerlei) im Namen des Fortschritts die Erde aufwühlte. Dort holte er Schuhcreme, Strickmütze und den Rest heraus. Im nachhinein betrachtet, hätte er nicht allein gehen dürfen. Immer zu zweit arbeiten, das war Regel Nummer eins der Saboteure, weil jemand zum Schmierestehen absolut unerläßlich war, besonders wenn man eine Schweißerbrille trug und den Hals nicht mehr als einen Zentimeter in beide Richtungen drehen, geschweige denn über die Schultern blicken konnte. Aber er hatte genug von Regeln und Gesetzen – er hatte seine Schuld bezahlt, mehr als genug –, und er war scharf darauf, wieder im Spiel zu sein, zu handeln, etwas Sinnvolles zu tun. Und er hatte genug, endgültig genug von Andrea und Teo und den anderen Nichtstuern. Okay, er ging ein Risiko ein. Wer konnte ihm das vorwerfen?
    Es war kurz nach elf, als er aus dem Wagen stieg, ein paar Lichter brannten noch in den Häusern, aber es war niemand unterwegs, nichts rührte sich, nicht einmal ein Hund oder eine Katze. Er huschte geräuschlos die Straße entlang, immer bereit, sich in die Büsche zu schlagen, falls ein Wagen vorbeifahren sollte – es wäre schwer, seine Aufmachung und seine Mission zu erklären, und selbst wenn er in der Lage wäre, sich zu erklären, konnte er kaum viel Sympathie von dem betroffenen Hausbesitzer erwarten, der zweifellos General Electric und der Firmenmission applaudierte, mehr Elektrizität ins Tal zu bringen, um noch mehr Häuser und infolgedessen mehr betroffene Hausbesitzer zu schaffen. Er sah sich selbst an einem Küchentisch sitzen und versuchen, einem Yuppie-Hausbesitzer die Biogeographie insulärer Habitate, das Artensterben und den Ozonschwund in den höheren Schichten der Atmosphäre zu erklären, während der ihm mit einer noch nie benutzten Achtunddreißiger auf die Halskrause zielte. Nein, wer auch nur einen flüchtigen Blick auf ihn erhaschte, der würde ihn für einen Einbrecher halten, und falls es so weit draußen Polizeistreifen gab, würden die einmal hinsehen und dann schießen.
    Er umschlich ein Haus, dessen Verandalicht brannte, dann schlug er sich über das einzige leere Grundstück dieser weitläufigen Fünfhundert-Häuser-Siedlung ins Gestrüpp. Hier konnte er durchatmen. Hier roch er den Duft von Salbei und sonnengebackener Erde, die mit Spreu und Samen der in ihr wachsenden Pflanzen übersät war, Wüstenleben und Wüstensterben. Er setzte sich auf einen Sandsteinblock, um die

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