Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
Blick, schlechter Haut und langem strähnigem Haar, das fettig genug war, um Motoren damit zu schmieren – Schluß mit den Albernheiten wie diesem Tanz um die Zementsäcke in Siskiyou Forest, nicht mehr mit Tierwater. Er war jetzt ein Profi, ein Veteran, und darauf war er mächtig stolz.
    Die Elektrizitätsgesellschaft hatte hier einen Hügel halb abgetragen, der Kahlschlag erstreckte sich bis in die Berge, so weit das Auge reichte. Und sie hatten reihenweise Stahltürme aufgestellt, zwischen denen Hochspannungsleitungen hingen und die hintereinander den Hang hinaufmarschierten und in der blauen Ferne verschwanden – auf der anderen Seite würden sie bald bis tief ins Valley hinabreichen. Er hatte kurz überlegt, ob er warten sollte, bis das Projekt fertiggebaut wäre und die Leitungen schon Strom führten, aber die Masten zu stürzen, wenn in ihnen Gott weiß wie viele Megavolts flossen, war etwas zu riskant. Nicht daß er vorhatte, die Stahlträger völlig zu durchtrennen – nein, er würde sie nur schwächen, das Metall direkt an der Basis annagen, wo es in den Betonsockeln verschwand. Dann würde er nach Hause gehen und warten, bis Wind aufkam – morgen zum Beispiel sollten laut Wetterbericht die Santa-Ana-Stürme in den Bergen und auf den Pässen bis zu Stärke neun erreichen. Etwa um die Zeit, wenn sie sich fragen würden, was mit den Maschinen los war, würden die Masten umkippen, einer nach dem anderen, klapp-klapp-klapp, wie eine Reihe Dominosteine.
    Und was würde das bringen? Er konnte Andrea schon hören, und Teo – obwohl ihm Teo widerwillig Bewunderung zollen würde. O ja, und die übrigen Sesselrevolutionäre auch. Denn die Antwort lautete: eine ganze Menge. Es ging schließlich darum, die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen – wenn die Leute nur wüßten, daß sie sich selbst die Schlinge um den Hals legten, Tag für Tag, Kilowattstunde für Kilowattstunde, dann würden sie sich wie ein Mann erheben und dem Spuk ein Ende setzen. Und damit sie es wußten, damit sie kapierten, wofür die Umweltschutzbewegung überhaupt stand, hatte Tierwater einen zehnseitigen Leserbrief an die Los Angeles Times verfaßt, getippt auf einer gebrauchten Schreibmaschine, die er bei einem Trödler in Bakersfield bar gekauft und danach in einem Müllcontainer in Santa Monica entsorgt hatte, und dieser Brief war sein Testament, sein Manifest, ein Ruf zu den Waffen, gerichtet an alle zweifelnden und entfremdeten Seelen dort draußen. Unterzeichnet hatte er ihn, nach längerem Überlegen, mit The California Phantom .
    Es war ein guter Plan. Nur gab es beim Schweißbrenner, abgesehen vom offenkundigen Nachteil seiner Unhandlichkeit und der schweren Tanks, das Problem der Sichtbarkeit. In einer trüben, schwarzen, smogverhangenen Nacht war nichts so sichtbar wie ein Acetylen-Schneidbrenner – höchstens vielleicht eine dieser Leuchtkugeln, die sie in Vietnam aus den Gräben abschossen, damit sie zählen konnten, wie viele Zähne jeder Vietcong hatte, bevor sie ihn im Feuerhagel ihrer M16-Sturmgewehre niedermähten. Tierwater hatte das bedacht – und sogar erwogen, lieber bis zum Morgengrauen zu warten, wenn das Licht am Himmel den Widerschein des Schweißgeräts überstrahlen würde –, sich aber doch dafür entschieden. Es war ja niemand hier, und wenn er bis Tagesanbruch wartete, riskierte er, einem übereifrigen Angestellten der Elektrizitätsgesellschaft oder einem braven Bürger mit Hund und einem fotografischen Gedächtnis für Autonummern über den Weg zu laufen. Er bückte sich nach dem Rucksack, hob ihn an und marschierte den Hang hinauf, wo der erste der Strommasten als stählernes Skelett in den Nachthimmel ragte.
    Die Stützträger waren massiver als erwartet. Aber kein Problem, er war auf alles vorbereitet; zum Teufel, er konnte auch die George-Washington-Brücke einstürzen lassen, wenn er nur genügend Zeit, Acetylengas und Sauerstoff hatte. Sein Nacken tat ziemlich weh, als er sich bückte, um die Schläuche und den Sauerstoffregler anzuschließen – die Halskrause scheuerte am Kinn und zwang ihn, den Kopf unangenehm schief zu halten, als müßte er ihn flach auf den Henkersklotz legen oder durch die Öffnung einer Guillotine schieben. Aber der Schneidbrenner ließ ihn den Schmerz vergessen. Er klappte die Schutzbrille herunter, drehte die Flamme auf und durchschnitt den koreanischen Qualitätsstahl, als wäre er allmächtig.
    Tierwater hatte schon immer gewissenhaft gearbeitet – präzise, wo andere

Weitere Kostenlose Bücher