Grün war die Hoffnung
anderes.
Tierwater: Was ist alles nur Artenchauvinismus?
Sierra: Daß wir sie als dumme Tiere sehen und glauben, wir dürften sie deshalb ihr ganzes Leben lang in Gefängnisse von der Größe eines Schuhkartons einsperren, mit einem – wie heißt das? –, einem Fließband darunter, das ihren Dreck wegbringt. Dasselbe haben sie vor hundertfünfzig Jahren auch über Afroamerikaner gesagt.
Tierwater: Ich kann dir nicht recht folgen – du willst die Hühner befreien und die Afroamerikaner in die Pfanne hauen, oder was?
Sierra: Dad!)
Dann war da noch Sandman. Sandman – Geoffrey R. Sandman, wobei das R für gar nichts stand, aber einem Namen Extragewicht verlieh, der auf ungedeckten Schecks gut aussehen sollte – war Tierwaters Zellengenosse während der meisten Zeit der achtunddreißig Monate seiner Strafe, die er hier absitzen mußte. Sandman bewahrte ihm seine geistige Gesundheit (falls das die zutreffende Bezeichnung war, und eine Menge Leute stellten das durchaus in Frage) und auch seine körperliche Unversehrtheit. Sandman saß wegen bewaffneten Raubüberfalls – er hatte den Boten eines Geldtransporters ausgeschaltet, als er gerade die Tageseinnahmen aus einem Supermarkt abholte, dann den Mann am Lenkrad, der ausstieg, um seinem Kollegen beizustehen, in beide Beine geschossen und zur Krönung den gepanzerten Transporter geklaut, um der Polizei eine grandiose zweistündige Verfolgungsjagd auf dem Freeway 605 zu liefern – und hatte im Knast eine gewisse Machtposition inne. Er war groß, eins zweiundneunzig, eins dreiundneunzig, und er stemmte regelmäßig Gewichte. Tierwaters Ruf war ihm vorausgeeilt – die Sache mit Johnny Taradash, ein paar unbedeutendere, aber bezeichnende Vorfälle in Lompoc und die schiere Verrücktheit der nackten Aktion im Wald und seines Versuches, General Electric lahmzulegen –, und das verschaffte ihm zumindest anfänglich ein wenig Respekt im Zellenblock. Gemeinsam bildeten sie eine Zweierbande.
Eines Abends saßen sie in ihrer Zelle, eine halbe Stunde vor dem Nachteinschluß, spielten Räuberschach zu fünf Dollar die Runde (Tierwater schuldete seinem Zellengefährten zu diesem Zeitpunkt um die dreihundertzwanzig Dollar) und rauchten gemeinsam die letzte Packung Camel (eine üble Unsitte, aber was sollte man im Gefängnis sonst tun?). Zu hören waren die üblichen Geräusche: Gebrabbel, Flüche, das Aushusten von Schleimklumpen, das immerwährende Ptui-ptui der in eine Faust oder einen Napf gespuckten Sonnenblumenkernen. Und es roch wie üblich: der Körpergestank von Tieren im Käfig, durchsetzt mit dem süßen Kirscharoma von Pfeifentabak, dem Duft nach Erdnüssen oder einer frisch aufgerissenen Tüte Kartoffelchips mit Salz-Essig-Geschmack. Aus dem Radio, das exakt an der Stelle zwischen den Gitterstäben aufgehängt war, wo der Empfang am besten war, drang das leise Wummern einer Baßgitarre und das hohe, kehlige Keuchen von Maclovio Pulchris beim Absingen des unwiderstehlichen Textes seines aktuellen Hits: I want you, I want you, I want you/Ooo, baby, ooo, baby, ooo!
»Mann, wie ich diese Scheiße hasse«, sagte Sandman und brachte seinen Läufer in Stellung für den Gnadenstoß – er hatte die Hälfte seiner Figuren noch auf dem Brett; Tierwater waren nur der König, eine bedrohte Dame und zwei Bauern geblieben. »Wenn der den Mund aufmacht, klingt es, als ob er sich gerade angepißt hat.«
»Ich weiß nicht«, sagte Tierwater, »mir gefällt das irgendwie.«
Sandman sah ihn mit ungläubiger Miene an – was er gern seinen »Kater-schnuppert-an-unbekanntem-Arschloch-Blick« nannte –, aber er ließ das Thema fallen. Er besaß das wandelbarste Gesicht, das Tierwater je gesehen hatte, und er setzte es zu seinem Vorteil ein: er schauspielerte praktisch ständig, war allerdings jederzeit bereit, die Darbietung mit brutaler Gewalt zu untermalen, die keineswegs gespielt war. Als Tierwater ihn kennenlernte, war Sandman zweiunddreißig, im Gesicht braungebrannt vom Hofgang, zwei lässig blickende blaue Augen und ein so sorgfältig getrimmter Bart, daß er aussah wie ein Schatten, der seine Kieferlinie nachzog und das kantige Kinn betonte. Er sah gut aus, so gut wie der Typ Schauspieler, der auf die Rolle des gewitzten Erfolgsmenschen abonniert ist und damit sein Geld verdient, und er setzte sein Aussehen geschickt ein. Die Menschen mochten ihn intuitiv, und er nutzte ihre Vorurteile aus – ein schlechter Kerl kann unmöglich so gut aussehen, dachten sie, schon gar
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