Grün war die Hoffnung
hineinsehen konnte. Schon bei dem Anblick setzte ihr Herz aus, aber Sess ging vom Gas, streckte den Arm aus dem Fenster und winkte dem unsichtbaren Polizisten gutgelaunt zu. Sie wagte nicht, sich umzudrehen, beobachtete aber den Streifenwagen im Seitenspiegel, als könnte sie ihn mit ihrer Willenskraft an seinem Standort festnageln, dabei rechnete sie jeden Moment damit, daß er in einem wilden Tumult aus Blaulicht und Sirenen zum Leben erwachte. Nichts geschah. Der Wagen wurde im Spiegel kleiner und blieb reglos wie ein Blechhaufen. Ein Pickup überholte sie. Sie bogen um eine Kurve. Sess legte beide Hände aufs Lenkrad und fuhr wie ein Geflügelfarmer auf dem Weg zum Markt.
Sie aßen auf der Terrasse des Pumphouse zu Mittag, Pamelas Lieblingsrestaurant in Fairbanks, und die Sonne auf ihrem Gesicht, der laue Wind und die zwei Bier, die sie rasch kippte, halfen ihr, wieder zur Ruhe zu kommen. Sie besorgte sich eine Zeitung, und gemeinsam durchsuchten sie die Kleinanzeigen unter »Haustiere«, aber keiner der Hunde klang für Sess irgendwie vielversprechend – er bockte jetzt, seine Fröhlichkeit war dahin –, und sie hatten beide das Gefühl, dieser Tag sei total vergeudet. Andauernd sagte er, daß sie eigentlich zu Hause sein sollten, um die Netze auszulegen, andererseits kippte er dann doch sein Bier, leerte das Whiskeyglas und grummelte, es sei ja ohnehin sinnlos, sich wegen der Lachse oder irgend etwas anderem Sorgen zu machen, wenn man keine Hunde hatte, denn wer keine Hunde hatte, der war sowieso zum Scheitern verurteilt, dann war das mit dem Leben in der Natur nur ein Pfeifentraum, ein schlechter Witz. Es deprimierte sie, ihn so zu sehen – schlimmer noch: es machte ihr angst. Er war ihr Fels in der Brandung, der Leitwolf, den sie aus einem Sammelsurium nicht so bedeutender Männchen erwählt hatte, der Mann, auf den sie ihr Leben lang gewartet hatte, um sich von ihm in die Wildnis führen zu lassen, und wenn er sich jetzt geschlagen gab, dann müßte sie auch aufgeben. Gerade trat die Kellnerin an ihren Tisch, und sie ahnte schon, daß er die nächste Runde Bier bestellen wollte, deshalb fragte sie: »Sag mal, und was ist mit dem Tierheim?«
»Ich hab keine Ahnung, wo das ist«, sagte er und erfand damit neue Hürden.
»Hey, meint ihr etwa das Tierheim für Hunde ?« warf die Kellnerin ein und schüttelte die Flaschen auf ihrem Tisch kurz, um zu sehen, ob noch was drin war. »Wo das ist, kann ich euch zeigen, denn mein Freund und ich haben, wir haben dort einen echt süßen kleinen Pudel gefunden – Mizzi, so nennen wir ihn. Hey, wollt ihr mal ein Foto sehen?«
Das Tierheim lag hinter einer Art Fabrik oder Lagerhaus auf einem Grundstück aus festgestampfter Erde ohne irgendwelche Bäume oder auch nur Büsche, es war ein niedriges Fertighaus, vor dem ein klappriger Lieferwagen in schiefem Winkel geparkt stand, als wäre der Fahrer herausgesprungen und davongerannt. Keine fünfzig Meter hinter dem Grundstück verliefen Eisenbahngleise, auf denen sich Güterwaggons bis zum Horizont aneinanderreihten wie Dominosteine. Sess wollte nicht einmal aussteigen, aber sie brachte ihn irgendwie dazu, und so standen sie auf dem Vorplatz, der Kies knirschte unter ihren Füßen, und sie dachte bei sich, daß dieser Ort so weit entfernt vom Thirtymile River war, wie es nur ging, ohne daß man Alaska verließ. Der Gestank nach Ammoniak schlug ihnen entgegen, herangetragen von einem leichten Wind mit einer Handvoll Moskitos darin. Man hörte ein schwaches, verängstigtes Kläffen und Winseln, das von überall und nirgendwo zu kommen schien. »Was können wir schon verlieren?« fragte sie besänftigend, als er sie verdrießlich über das Dach des lächerlichen Sportwagens anblickte.
Im Innern des Hauses war der Geruch konzentrierter, und sie dachte an den einzigen Großstadtzoo, den sie kannte, den von San Francisco, wo verlotterte Tiere in Betonwannen gelegen hatten, und deren komprimierter Gestank – ein so intensiver Gestank, daß sie richtige Panik bekommen hatte – war ihre einzige bleibende Erinnerung an diesen Zoo, ja im Grunde an die ganze Stadt. Der Boden hier war ebenfalls aus Beton, die Beleuchtung unzureichend. Eine stämmige Frau mit hochgestecktem Haar und tränenförmigen Brillengläsern grinste sie hinter einem Sperrholztisch mit Resopalplatte an. »Kommen Sie für eine Adoption?« fragte sie durch das Getöse des Hundegebells hindurch, das noch ein bißchen zugelegt hatte, als sie hereingekommen waren.
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