Grün war die Hoffnung
deswegen. Und da gab’s mal in einem Buchladen einen ganzen Karton mit alten TV Guides zu verschenken. Ich glaube, ich hab jedes Heft von vorn bis hinten gelesen. Zweimal. Mindestens. Kennst du Citizen Kane ?«
Ein schwarzweißes Bild stieg vor ihren Augen auf, ein dunkles Zimmer, das Flimmern der Glotze, ihre Mutter mit hochgelegten Füßen beim Nägellackieren, das feiste Vollmondgesicht von Orson Welles, die scharfen Konturen eines Herrschaftshauses, in dem ganze Armeen campieren konnten. »Hab ich mal gesehen. Zum Teil jedenfalls.«
»Neunzehnhunderteinvierzig. Mit Orson Welles und Joseph Cotten. Regie Welles. Vier Sterne. Der Geist der Mumie ? Neunzehnhundertvierundvierzig, mit Lon Chaney junior, zwei Sterne. Im Land der langen Schatten , mit Anthony Quinn, neunzehnhundertsechzig – der muß mindestens sechsmal pro Woche gelaufen sein –, drei Sterne. Ich könnte dir die Bewertung für jeden Film sagen, der je gedreht wurde, aber in meinem ganzen Leben hab ich kaum mehr als vielleicht fünfzig selbst gesehen – und das war als Kind, zu Hause bei meinen Eltern.«
Der Hund bewegte sich auf ihrem Schoß. »Und, fehlt dir das – Fernsehen, Spielfilme?«
Sie erwartete, daß er nein sagte und ihr den üblichen Vortrag aller Typen mit Buschkoller hielt – viel zuviel zu tun da draußen, die Natur war so schön und viel besser als alles, was man auf einem kleinen Bildschirm je zu sehen bekam, und wenn dann erst über einem das Nordlicht in den lebendigsten Farben erstrahlte ... Doch er überraschte sie. »In einer Januarnacht ohne Mond, wenn der Ofen so heiß ist, daß das Eisen glüht, und der Fußboden so kalt, daß du nicht mal aus dem Bett steigen würdest, wenn es dir das Leben rettet, da fehlt einem so ziemlich alles.«
Dann schwiegen sie, der Hund ließ den Kopf zum Fenster hinaushängen, die Sonne besiegte die Wolken, um die Straße vor ihnen zu beleuchten wie eine Stadtautobahn, und Joe Boskys Mustang rumpelte durch die Spurrillen und erwischte jede Pfütze. Verkehr war kein Problem. Sie überholten zwei Autos, die in ihre Richtung fuhren – wahrscheinlich unterwegs nach Boynton Hot Springs, wo es eine baufällige Feriensiedlung für Sommergäste gab –, und aus Boynton kamen ihnen sechs oder sieben Fahrzeuge entgegen, die Sess alle kannte. Er pfiff sich durch vier schräge Versionen von »My Favorite Things«, irgend etwas von Dvoˇrák, sie war sich nicht sicher, welches Stück, und verrückterweise auch »I Saw Mommy Kissing Santa Claus (Underneath the Mistletoe Last Night)«, und dann wurde es Abend, und sie waren knapp fünf Kilometer außerhalb von Boynton, als er an den Straßenrand fuhr, an einer Stelle, wo der Birch Creek sich gleich neben der Straße dahinschlängelte und man am Ufer die nackte Erde durchkommen sah, wo irgendwer eine Zeitlang zum Angeln gesessen hatte. »Zeit zum Aussteigen, Pamela«, sagte er, und noch ehe sie den Griff gefunden hatte, eilte er um den Wagen herum und öffnete ihr die Tür. »Zeit, sich die Beine zu vertreten. Komm, Lucius, guter Hund. Willst du dir auch die Beine vertreten?«
Der Birch Creek war kein Bach, sondern ein richtiger Fluß, träge und tief an dieser Stelle, das Wasser hatte die Farbe von altem Tee. Der Hund hob das Bein und schnupperte. Sess nahm Pamela in die Arme und gab ihr einen Kuß, der voller Leidenschaft und Hunger war, dann ließ er sie los und begann, die Einkäufe in die beiden Rucksäcke zu packen, die sie in Fairbanks gekauft hatten. Die Moskitos waren überglücklich. »Was hast du vor, Sess?« fragte sie und stellte sich vor ihm auf. »Willst du den Wagen etwa einfach hier stehenlassen, ja?«
Er antwortete nicht. In seinem Nacken spannten sich die Sehnen an, als er Dosen, Gläser und Tüten mit Pasta und Marshmallows möglichst geschickt in die Rucksäcke verstaute, um die Last gut zu verteilen.
»Das scheint mir alles wenig Sinn zu haben, Sess«, hörte sie sich sagen, dabei wollte sie keineswegs nörgeln – sie wollte eigentlich den Mund halten, konnte es aber nicht. »Schließlich warst du heute früh mitten auf der Hauptstraße von Boynton, wo dich jeder sehen konnte, hast sogar noch gehupt, und dann sind ja wohl auch deine Fingerabdrücke überall im Wagen verteilt. Plus ein paar Hundehaare.« Sie versuchte es mit Humor, obwohl sie schon wieder eine Stinkwut hatte: »Was würde wohl Perry Mason daraus machen?«
Er blickte aus seiner hockenden Stellung zu ihr hoch, ehrlich verdutzt. »Wer ist denn Perry Mason?« Dann
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