Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
keine Ziegen zum Hüten mehr gab, und damit keine Milch, keinen Joghurt, keinen Käse. Eine größere Gruppe, angeführt vom irren George, Mendocino Bill und Norm persönlich, hatte die Ziegen zerlegen und ihr Fleisch verwenden wollen – die Sache sei bedauerlich, klar doch, echt ein finsterer Trip, aber wieso sollte das Fleisch denn verderben, so dachten sie –, doch sie war auf sie losgegangen wie dieser Vielfraß höchstpersönlich, sie tobte und raste, und sie fragte: »Warum zieht ihr dann nicht auch Frodo die Haut ab? Wieso eßt ihr den nicht?«
    Sie hob die Gräber selbst aus. Marco stand ein Stück weit entfernt, mit ernster Miene und hilflos baumelnden Armen, aber sie wollte sich nicht helfen lassen. Der Boden war der reinste Fels. Die Moskitos saugten sie leer. Sie schwitzte, daß ihr die Augen brannten und die Haare wie Tentakel an der Kehle klebten, zerrte an den Kadavern der beiden Ziegen – von Amanda und Dewlap, denn ja, inzwischen konnte sie sie auseinanderhalten, auch jetzt, als es zu spät dafür und eigentlich egal war und die Augen der Tiere sich für immer geschlossen hatten –, zerrte sie quer über den Platz und begrub sie.
    Am Morgen, als sie wieder hinging, um ein paar Blumen auf die frische Erde zu legen, um Kräfte zu sammeln, vielleicht ein paar tröstliche Gedanken zu denken und sich einzureden, es sei schon in Ordnung so, Teil des umfassenden Plans, des göttlichen Fließens, da war nichts mehr dort als zwei leere Gräber und die langen Streifen, wie sie Klauen auf weichem Erdboden hinterlassen.
    Ronnie und Verbie kamen nicht wie geplant am Donnerstag abend zurück, und auch am Freitag tauchten sie nicht auf. Langsam wunderten sich die Leute, dann machten sie sich Sorgen. Das hier war ein unsicherer Ort, wild, voller Überraschungen – und falls sie das noch nicht vollends kapiert hatten, weil sie alle so mit sich beschäftigt waren, so konzentriert auf ihre Hände und Füße, auf das Hobeln von Baumstämmen, die Lachse im Fluß und die Beeren in den Hügeln, dann hatte sie dieses Monster aus den Wäldern deutlich daran erinnert. Sie waren hier nicht in Kalifornien. Nicht in Indiana, Texas oder New Jersey. Sie waren in Alaska, und sie würden es durchstehen, keine Frage, und es war schön hier oben, beinahe das Paradies, aber es war auch ein gutes Stück riskanter , als die meisten es sich in ihrer kalifornischen Kindheit erträumt hätten, wo es allenfalls ein Problem gewesen war, ob sie genug Benzin im Tank hatten oder ob es im Supermarkt Fladenbrot und Artischocken gab. Die Sonne hatte sie eingelullt, der Duft des Flusses und das Aroma der Bäume, die klebrigen warmen Tage, die scheinbar ewig dauerten. Jetzt aber war Schluß.
    Am Freitag abend ging Star ans Wasser und starrte flußabwärts, bis ihre Augen den Sog spürten. Sie hatte Angst um ihn, natürlich hatte sie das. Nach Marco stand ihr Ronnie auf dieser Welt am nächsten, und sie wußte nicht, was sie tun würde, wenn ihm etwas passiert wäre. Er war die Verbindung – ihre einzige Verbindung – zur Vergangenheit, zu Mr. Boscovich und dem Highschool-Jahrbuch, sogar zu ihren Eltern, und auch wenn sie nie mehr zurückkehren würde, auch wenn sie das alles heute so wie damals haßte, wurde es doch um so wichtiger für sie, je weiter sie davon entfernt war – es gehörte zu ihr, genau wie die Atome, aus denen die Zellen ihres Körpers bestanden, und sie brauchte es. Jeder brauchte so was. Mit Marco sprach sie oft darüber und mit Merry und Maya auch. Um hierherzukommen, um ein Teil davon zu sein, um das zu tun, was sie auf Drop City probierten, mußte man alle Brücken hinter sich abbrechen, so schmerzhaft das auch war – aber das hieß ja nicht, daß man seine Vergangenheit auslöschen mußte, als hätte man nie eine gehabt. Sie war einmal Paulette gewesen. War auf eine katholische Schule gegangen. Hatte mit ihrer Mutter Plätzchen gebacken, ihr Fahrrad über die schwarzgeteerten Straßen der Wohnsiedlung gelenkt, sich in Jungen verliebt, in ihr Tagebuch geschrieben und nächtelang am Telefon gehangen, um mit Nancy Trowbridge und Linda Sloniker die wichtigsten Dinge dieser Welt zu besprechen. Das zählte. Kein Zweifel. Und Ronnie gehörte mit dazu.
    Aber der Freitag war nun auch vergangen, ohne daß er aufgetaucht wäre. Es regnete den ganzen Samstag hindurch, und die Leute hockten in ihren Zelten oder zwängten sich in das bewohnbare Blockhaus, das des Onkels, das im Grunde nur aus einem einzigen winzigen Raum bestand,

Weitere Kostenlose Bücher