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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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nicht größer als das holzgetäfelte Fernsehzimmer damals, in dem Stars Vater und ihr Bruder Sam sich an den Samstagnachmittagen auf der Couch gefläzt und Football geguckt hatten. Die Luft war abgekühlt – draußen hatte es sicher nicht mehr als zehn Grad –, aber imHaus war es immer noch zu heiß, viel zu heiß, weil auf dem Herd den ganzen Tag über in Schichten gekocht wurde und wegen der vielen Leute, die überall verstreut lagen wie Gepäckstücke; sie spielten Karten, meckerten über das Wetter, kifften sich voll und verwandelten das Haus in ein Dreckloch, während Star und Merry genug Platz zu finden versuchten, um einen Topf mit Bohnen zu zaubern, außerdem acht Laibe Brot, die garantiert wieder innen roh und unten verbrannt herauskommen würden, und was gäben sie nicht für ein paar Pakete mit La-Estrella-Tortillas aus dem Supermarkt von Guerneville. Die einzige Koje im Haus hatte Norm in Besitz genommen – immerhin hatte es ja mal seinem Onkel gehört –, in einer echten Klemme kannte der Kommunegeist seine Grenzen. Er lag jetzt auch drin, auf einen Ellenbogen gestützt, neben Premstar. Sie spielten Böse Dame, das einzige Kartenspiel, das sie kannte, und gerade jubelte sie ihm die Pik-Dame unter und quietschte auf, als wäre sie wieder zur Miss Watsonville gewählt worden.
    Draußen, im Regen, setzten Marco, Alfredo und ein paar der anderen – wie es aussah, waren es Deuce, Tom Krishna, Creamola und Foster – die tragenden Querbalken für das Dach des Versammlungsgebäudes ein, und es wäre ja auch echt nett, etwas mehr Platz zu haben, wenn das Wetter bald scheußlich wurde. Eben überhaupt Platz zu haben. Denn Star mochte zwar lächeln – sie lächelte ständig, zwei süße Lippen formten sich zum seligen Lächeln einer seligen Hippiebraut –, in Wirklichkeit aber fühlte sie sich kaum eineinhalb Herzschläge vom Wahnsinn entfernt, und wenn sie noch über einen einzigen unbesockten Stinkefuß steigen mußte, noch einen einzigen mit Essensresten verkrusteten Teller zu schrubben bekam, weil irgendein Idiot ihn ungespült irgendwohin geknallt hatte, dann würde sie einen Schreianfall kriegen, und nur Knebel und Zwangsjacke könnten sie dann noch im Zaum halten.
    Sie blickte auf und sah zu den Männern hinüber, geduckte, umherhuschende Figuren in erdbraunen Ponchos, die mit dem Schlamm, dem peitschenden Regen und den schwankenden und schwer zu balancierenden Holzstämmen kämpften, und am liebsten wäre sie hinausgerannt und hätte ihnen Medaillen an die Brust geheftet. Alle anderen hatten für diesen Tag Feierabend ausgerufen – diejenigen, die überhaupt aus ihren Schlafsäcken rausgekrochen waren, wohlgemerkt. Reba zum Beispiel hatte sich reichlich rar gemacht, aber das war ja durchaus eine Wohltat, denn so polterten wenigstens ihre Kinder nicht alle zehn Sekunden zur Tür rein oder raus. Mendocino Bill hatte den ganzen Nachmittag mit Marco und den anderen gearbeitet, aber es gab keinen Poncho, der groß genug für ihn war, und nun lungerte er draußen unter dem Vordach des Hauses herum, blätterte in einem zerlesenen Rolling Stone und zitterte so heftig, daß das Glas in den Fensterrahmen schepperte. Sein Overall war völlig durchnäßt, die nackten Füße erinnerten an zwei mächtige Klumpen aus hartem Lehm, die ein Bohrer aus einem Erdloch ausgeworfen hatte. Natürlich stand er genau im Licht, aber Star fehlte der Mut, den Kopf zur Tür hinauszustrecken und ihn zu bitten, sich woanders hinzustellen. Sie versenkte mehrere Teller in der Abwaschschüssel. Unmittelbar zu ihren Füßen hockte Jiminy, den Arm in einer verdreckten Schlinge, und schnitzte Figürchen aus Erlenholz – seine Voodoo-Puppen nannte er sie, und er besaß schon eine richtige Sammlung davon, eine pro Bruder und Schwester auf Drop City, obwohl sie so primitiv waren, daß nur er sie auseinanderhalten konnte. Bei seiner Arbeit hingen ihm die Haare wie ein Vorhang im Gesicht.
    In diesem Moment hatte Star eine Vision der Zukunft, des kommenden Winters: ohne Musik, stumpfsinnig wie Pappe, zusammengepfercht in ein paar halbfertigen Hütten ohne fließend Wasser und Toiletten, wo man einander auf die Nerven ging, während der Schnee fiel, das Eis dicker wurde und der Wind über die Baumwipfel pfiff wie das Ende von allem. Sie bewahrte sich dieses Bild für einen Moment, ehe sie es mit einem Kopfschütteln wegwischte.
    »Wißt ihr was?« sagte Norm und hob die Stimme, um beim Knacken des Herdfeuers und dem steten Prasseln des

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