Grün war die Hoffnung
doch dann ließen ein paar Tropfen Harz das Feuer auflodern, und sie erkannte, dass das Bündel unter dem Poncho etwas ganz anderes war.
Der Verkehr auf der dunklen Schnellstraße ist dicht, ein sich windender Strom aus sacht leuchtenden roten Lichtern, der sie dahinträgt. Sie schaltet das Radio ein, hört sich die Nachrichten an, wechselt zu einem Musiksender und versucht, nicht an die tote Frau zu denken, nicht an Tim und das Kind, das in ihr wächst, und nicht daran, was sie den Leuten sagen wird, wenn es nicht mehr zu verbergen ist. Es wird ein Song gespielt, den sie mag und der kaum je im Radio zu hören ist – »I Came So Far for Beauty« von Leonard Cohen, gesungen von Jennifer Warnes –, und sie versucht mitzusingen, aber die Worte purzeln an ihr vorbei, und nach dem zweiten Refrain verstummt sie.
Zuerst hält sie an dem Lebensmittelgeschäft im Lower Village – nach dem reichlichen Mittagessen braucht sie nicht viel: ein Stück Lachs (aus Aquakultur, mit Farbstoff) und einen Beutel Spinat für die Mikrowelle – und dann beim Videoverleih. Sie braucht lange, um sich etwas auszusuchen, und arbeitet sich durch die Neuerscheinungen (die Tim und sie meist schon im Kino gesehen haben, als sie gerade angelaufen waren) und die Komödien, die durchweg für pubertierende Kinder gemacht und nur laut Definition witzig sind, bevor sie in die Klassikerabteilung geht und sich für einen Lubitsch-Film entscheidet, den sie schon mindestens zwei- oder dreimal gesehen hat, allerdings nicht in letzter Zeit. Der Plan – das Grundthema des Abends – ist Leichtigkeit, nur ein bisschen Ablenkung, und dann ins Bett, damit das Vergessen über sie kommt wie eine dunkle Flut aus Nichts.
Gut. Super. Aber als sie, zu Hause angekommen, den Schlüssel ins Schloss steckt, stellt sie fest, dass die Tür gar nicht abgeschlossen ist. Das ist seltsam, denn sie gehört nicht zu den Menschen, die vergessen, die Haustür abzuschließen. Das passiert ihr nie. Sie geht in Gedanken noch einmal den Morgen durch – der Wecker hat gesummt, sie ist panisch aus dem Bett gesprungen und mit einem altbackenen, hektisch mit Frischkäse beschmierten Bagel aus dem Haus gestürzt – und versucht, das Bild heraufzubeschwören, wie sie die Tür hinter sich zuzieht und sie abschließt, doch das Bild will sich nicht einstellen. Mit einemmal hat sie Angst. In den vergangenen Wochen hat es in der Nachbarschaft eine Serie von Einbrüchen gegeben; in einem Fall – in der Olive Mill Road, keine drei Blocks entfernt – ist eine Frau angegriffen worden, als sie die Einbrecher überraschte, die gerade dabei waren, ihre Möbel zu verrücken, um die Orientteppiche einzurollen. Ganz langsam und leise, als wäre sie selbst eine Einbrecherin, dreht sie den Türknopf und schiebt die Hand durch den Spalt, um das Flurlicht einzuschalten.
Sie verharrt auf der Schwelle, bereit zu fliehen, wenn es sein muss, doch als sie die Tür langsam aufschwingen lässt – bis zur Wand, um sicher zu sein, dass niemand dahintersteht –, sieht sie nichts als den vertrauten Flur, den Tisch, auf dem Jacken, Schirme, ungelesene Zeitschriften und die drei Handtaschen liegen, die sie gründlich satt hat. »Hallo?« ruft sie. »Ist da jemand?« Und dann macht ihr Herz einen Satz, und sie denkt an Tim. Er ist doch derjenige, der immer vergisst, hinter sich die Tür abzuschließen – meistens weiß er nicht mal, wo seine Schlüssel sind. »Tim?« ruft sie und sieht vor ihrem geistigen Auge bereits eine Versöhnung: Tim ist gekommen, um sie zu überraschen, und würde es ihm nicht ähnlich sehen, plötzlich aus einem dunklen Winkel zu springen und sie zu Tode zu erschrecken? »Tim, bist du das?«
Erst als sie drinnen ist, als sie durch Küche und Wohnzimmer ins Schlafzimmer gegangen ist, begreift sie. Tim war hier, aber jetzt ist er weg. Seine Sachen – alles, sein Fahrrad, seine Bücher und Videospiele, selbst seine Unterwäsche und die T-Shirt-Sammlung – sind weg. Er hat leere Schubladen zurückgelassen. Staubmäuse. Ein altes Paar Basketballschuhe mit zerrissenen Schnürsenkeln und durchgelaufenen Sohlen.
Sie spürt den Impuls, die Schuhe zu nehmen, sie zu berühren, an ihre Wange zu drücken, doch sie kann es nicht. Ihre Knie werden weich, sie muss sich sofort setzen, auf die Bettkante. Sie kreuzt die Arme vor der Brust, hält sich an den Schultern fest und findet nicht die Kraft, den Kopf zu heben. Nach einer Weile beginnt sich das hinter die Ohren gestrichene Haar zu lösen, es
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