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Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Geschäftseingänge.
    »Warum sind Sie plötzlich so schweigsam?« fragte Manuela und lehnte sich an seine Schulter. Ihr Gesicht, von den Bogenlampen angestrahlt und wieder in Dunkelheit verschwimmend, sah erwartungsvoll aus.
    »Ich denke nach...«, murmelte er.
    »Über uns beide?«
    »Nein, Manuela, über Sie. Wie stehen Sie zu Jürgen?«
    »Sie fragen wie meine Mutter«, sagte sie enttäuscht.
    »Aber aus anderen Gründen.«
    »Eifersüchtig?« fragte sie kokett. Der Gedanke, ihn eifersüchtig zu wissen, schien ihr sehr reizvoll zu sein.
    »Ich möchte ihn nicht verletzen. Können Sie das nicht verstehen, Manuela?«
    »Sie hätten auch keinen Grund zur Eifersucht. Auf niemanden. Ich glaube, ich bin bis auf den heutigen Tag noch nicht ein einzigesmal verliebt gewesen. Genügt das?«
    »Ja... «, murmelte er, aber es hörte sich an, als mache dieses Geständnis die Sache nur noch schwieriger.
    »Was haben Sie?«
    Er schüttelte den Kopf und preßte ihre Hand für einen Augenblick an seine Brust.
    »Sie müssen an der nächsten Ecke nach rechts abbiegen, und dann wieder nach rechts, und dann sind wir am Ziel.«
    Er zog den Wagen in die scharfe Kurve, sah die Lichter einer Brücke vor sich und bog nach kurzer Fahrt in die nächste Straße ein. Die Brückenlampen spiegelten sich in dem träg dahinströmenden Fluß.
    »Hier wohne ich. Muß ich Ihnen den Weg zum Hotel beschreiben?«
    »Danke, hier kenne ich mich aus.« Er schaltete die Innenbeleuchtung an.
    »Möchtest du das Licht nicht lieber ausschalten?« fragte sie und tastete über seine Schulter hinweg nach dem kleinen Hebel unterhalb des Wagendachs.
    Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Nein«, sagte er ein wenig starr, »ich möchte es lieber nicht tun.«
    »Und warum nicht?« flüsterte sie in sein Ohr.
    Er nahm ihren Kopf in beide Hände und fuhr mit den Fingerspitzen zärtlich durch ihr Haar: »Geh jetzt, Manuela. Deine Mutter wird dich erwarten. Und ich möchte mir keine Vorwürfe machen, eine verrückte Stunde ausgenutzt zu haben. Wir sind nämlich beide ein wenig verrückt, du und ich. Aber ich ganz besonders. Darf ich dich morgen anläuten?«
    Sie öffnete den Schlag und blieb neben dem Wagen stehen: »Ich werde den ganzen Tag auf deinen Anruf warten. Und noch eins: Ich bin wirklich verrückt. Ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist. Aber ich finde es wunderbar.« Sie pflückte mit der Spitze des Zeigefingers einen Kuß von ihren Lippen und drückte ihn sanft auf seinen Mund: »Bis morgen...«

5

    Viktoria betrat das Geschäft wenige Minuten nach acht. Die beiden Verkäufer, Herr Wohlers und Herr Graser, waren gerade dabei, die Schaufenstergitter hochzudrehen, eines der Lehrmädchen polierte die Glasscheiben der Vorführtische, und Herr Freytag war damit beschäftigt, einen Projektionsapparat zu untersuchen, der wegen eines Fehlers zur Fabrik eingeschickt worden war.
    »Guten Morgen, Herr Freytag.«
    Er drehte sich überrascht um, denn gewöhnlich erschien Viktoria nicht vor neun im Geschäft.
    »Guten Morgen, Frau Mellin. Ich habe die Post bereits auf dem Weg ins Geschäft abgeholt. Sie liegt auf Ihrem Schreibtisch. Es scheint nichts besonders Wichtiges dabei zu sein.«
    Er folgte ihr in das Büro, in dem sich ihre Schreibtische gegenüberstanden und in dem eine kleine Sitzecke mit drei chintzbezogenen Sesseln die Möglichkeit bot, Besucher zu empfangen und mit einer Tasse Kaffee oder einem Glas Vermouth zu bewirten. Freytag nahm Viktoria die Kostümjacke ab und hängte sie in den Schrank. Er war ein überdurchschnittlich großgewachsener und gutaussehender Mann, dessen blonder Scheitel sich allerdings schon stark zu lichten begann. Er trug trotz der sommerlichen Wärme einen graphitgrauen Anzug, schwarze genarbte Schuhe und eine in dunklen Farbtönen quergestreifte Wollkrawatte. Der Wäschestreifen, der die Ärmel fingerbreit überragte, war wie immer blütenweiß und tadellos gebügelt. Seine betont seriöse Aufmachung veranlaßte Manuela oft zu der Bemerkung, er ähnele darin mehr dem Empfangschef eines Hotels als dem Geschäftsführer einer Fotohandlung.
    Viktoria blätterte flüchtig in der eingegangenen Post, die zum größten Teil aus Drucksachen, Katalogen, Rechnungen, Preislisten und Anfragen von Vertretern des Großhandels bestand, wann ihr Besuch angenehm sei. Sie schob die Post zur Seite und schlug den Terminkalender auf, um sich über das Tagesprogramm zu informieren. Herr Balzer, der Buchhalter, hatte auf zehn Uhr eine

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