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Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Besprechung mit Herrn Knecht, dem Steuerberater, angesetzt.
    »Ich habe mir gestern die Vierteljahresabrechnung angesehen, Herr Freytag.«
    »Ich weiß, was Sie sagen wollen. Sie liegt etwas niedriger als die Abrechnung des vergangenen Jahres.«
    »Meiner Schätzung nach um fünfzehn Prozent, Herr Freytag! Finden Sie das nicht ein wenig besorgniserregend?«
    »Durchaus nicht. Gelegentliche Flauten sind unvermeidlich. Und sie sind in unserer Branche auch wetterbedingt.«
    »Andere Geschäfte haben sie nicht.«
    »Woher wollen Sie das wissen, Frau Mellin? Ich habe die Konkurrenz auch im Auge, und ich habe nicht den Eindruck, daß wir hinterdreinhinken...«
    Er schien die Absicht zu haben, zu einem längeren Vortrag anzusetzen, aber Viktoria winkte mit einer Handbewegung ab.
    »Sagen Sie, Herr Freytag, was ist das eigentlich für eine Geschichte mit Megerlein?« Sie half seinem Gedächtnis nach, als sie merkte, daß der Name ihm nichts zu sagen schien: »Megerlein in Nürnberg...«
    Er runzelte die Stirn: »Wie kommen Sie auf diesen Namen? Er sagt mir nichts... nein, absolut nichts.«
    Viktoria öffnete ihre Handtasche und reichte ihm einen gefalteten Briefbogen hinüber: »Ich fand ihn gestern unter den Ablagen der Geschäftskorrespondenz. Es ist ein Privatbrief. Ich entdeckte erst, nachdem ich ihn gelesen hatte, daß er an Sie persönlich gerichtet ist.«
    Er entfaltete den Bogen und überflog ihn. In seinem Gesicht verzog sich keine Miene: »Ach du meine Güte«, sagte er leichthin, »Megerlein in Nürnberg. Ich fand seine Anzeige vor einem guten halben Jahr in der Fachzeitschrift. Fotohandlung in erstklassiger Geschäftslage einer süddeutschen Großstadt und so weiter und so weiter. Jahresumsatz rund eine Viertelmillion. Und das alles wurde sozusagen für ein Butterbrot angeboten.«
    Er warf einen letzten Blick in das Schreiben, zerknüllte es und warf es in den Papierkorb.
    »Wollten Sie das Geschäft kaufen, Herr Freytag?« fragte Viktoria kühl.
    »Herr Megerlein hat sich reichlich schief ausgedrückt.«
    »Aber Sie waren doch in Nürnberg?«
    »Gewiß, Anfang Januar. Ich wollte mir den Laden einmal ansehen. Leider hatte Herr Megerlein in seiner Offerte zu erwähnen vergessen, daß sich sein ziemlich antiquierter Laden genau zwischen zwei Fotohandlungen unseres Formats befindet und von ihnen einfach erdrückt wird. Nun ja, ich gebe zu, dieser Brief, das könnte tatsächlich so aussehen, als ob ich...« Er vollendete den Satz nicht, sondern schloß mit einem Achselzucken und sah Viktoria mit einem fast vorwurfsvollen Blick an. »Verzeihen Sie, Frau Mellin«, sagte er verdüstert, »ich arbeite mit Ihnen jetzt seit mehr als acht Jahren zusammen, und ich hoffe, Sie haben an meiner Loyalität Ihnen gegenüber und an meinen Bemühungen um das Geschäft nichts auszusetzen gehabt. Haben Sie etwa geglaubt...«
    »Sie werden zugeben müssen«, unterbrach sie ihn ruhig, »daß ich nach dieser Lektüre fragen mußte, was hier gespielt wird. Sie haben mich darüber aufgeklärt — und damit ist die Sache für mich erledigt.«
    Freytag kaute an seiner Lippe und preßte die Fingerspitzen so kräftig gegeneinander, daß die Nägel weiß wurden: »Für Sie mag die Sache erledigt sein, Frau Mellin. Für mich ist sie es nicht. Ich glaube nämlich seit längerer Zeit zu bemerken, daß meine Stellung zu Ihnen eine gewisse Trübung erfahren hat.«
    »Ich verstehe Sie nicht, Herr Freytag«, murmelte Viktoria nervös. Sie wünschte sich in diesem Augenblick nichts mehr, als daß ein Kunde den Laden beträte oder daß das Telefon läute, aber das Telefon blieb ebenso stumm wie der Gong an der Tür.
    »Ich bin jetzt einundvierzig Jahre alt, Frau Mellin. Davon habe ich Ihrem Vater, der mich an Sie empfahl, sechs Jahre lang und Ihnen acht Jahre lang gedient. Und ich hoffe, Ihnen gut gedient zu haben. Ich habe dabei nicht die Absicht gehabt, ewig Angestellter zu bleiben. Und es befriedigt meinen Ehrgeiz auch nicht ganz, daß Sie sich vor einigen Jahren dazu bereit fanden, mich am Umsatz Ihres Geschäftes zu beteiligen.«
    »Was wollen Sie also noch, Herr Freytag?« fragte sie ein wenig ungeduldig, aber ihre Stimme klang gepreßt.
    »Ich glaube, das wissen Sie«, sagte er mit einer kleinen Verbeugung. »Ich habe Sie — lassen Sie es mich ruhig aussprechen — immer verehrt. Und ich hoffte, da ich nicht den Eindruck hatte, Ihnen direkt unsympathisch zu sein, eines Tages in Ihrem Leben eine andere Stellung einzunehmen als die des

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