Grün wie ein Augustapfel
glaubst, daß du mit ihm glücklich werden kannst...«
Viktoria machte ein Gesicht, als litte sie an Gehörhalluzinationen.
»Was faselst du da zusammen?« fragte sie schließlich mit einer Stimme, die den Tränen näher zu sein schien als dem Lachen.
»Mein Gott, ich meine, ich werde allmählich erwachsen. Und Gregor auch. Und du hast schließlich ein gutes Recht auf dein eigenes Leben.«
»Jetzt halte aber endlich die Luft an«, rief Viktoria ärgerlich. Wie ärgerlich sie war, verriet am besten, daß sie einen Ausdruck gebrauchte, der aus Manuelas und Gregors rauhem Vokabular stammte. »Ich denke nicht einmal im Traum daran, noch einmal zu heiraten! Und am wenigsten Herrn Freytag! Ich überlege mir nur, wie ich ihm die Sache beibringen soll. Und ich überlege mir noch mehr, wie das mit dem Geschäft weitergehen soll, wenn er uns verläßt. Denn daß er uns verläßt, ist sicher.«
Manuela stieß sich von der Fensterbank ab und ging langsam zu Viktoria hinüber: »Du mußt natürlich auch mit Gregi darüber sprechen, Vicky. Er meinte neulich, ob wir das Geschäft nicht aufgeben oder verkaufen sollten...« Sie drückte Viktoria sanft auf den Stuhl zurück, als sie empört auffahren wollte. »Es ist nun einmal so, daß Gregor vom Geschäft nichts wissen will. Und ich müßte einen Fotofachmann heiraten, damit das Geschäft in der Familie bleibt. Und sicherlich werde ich eines Tages heiraten — aber keinen Mann aus der Branche.«
Viktoria blickte zu ihr auf und kniff die Augen leicht zusammen, als wolle sie das Bild schärfer in die Linse bekommen.
»Was ist mit dir eigentlich los?« fragte sie energisch, »das alles kommt doch nicht von ungefähr...«
Manuela entfernte sich mit drei Walzerschritten von Viktoria und verhielt vor der offenen Balkontür. Sie breitete die Arme aus, als wolle sie das vertraute Bild, das sich ihrem Blick darbot, an sich ziehen und umarmen, den Fluß mit einem zu Berge tuckernden Motorschlepper, die Hügel mit den sattgrünen Wäldern und Wiesen, und die Hänge, auf denen die Rebstöcke in schnurgerade aus gerichteten Reihen emporstiegen.
»Ich dachte, du müßtest es auf den ersten Blick bemerken«, sagte Manuela fast enttäuscht.
»Um Himmels willen, was hast du?« fragte Viktoria ahnungsvoll.
»Ich stehe in Flammen, Vicky. Ich brenne lichterloh!«
Fast wäre Viktoria in ein Gelächter ausgebrochen. Daher stammte also die Großmut, mit der ihr gestattet worden war, ihr >gutes Recht auf das eigene Leben< wahrzunehmen. Aber zugleich spürte sie einen schmerzlichen Stich bei der Erinnerung an Freytags Worte, junge Leute gingen ihre eigenen Wege und sie seien dabei nicht gerade rücksichtsvoll. Nein, sie waren es wirklich nicht. Aber konnte man es von ihnen erwarten und verlangen? Hatte sie selber auf die Wünsche ihrer Eltern Rücksicht genommen, als Georg Mellin ihr begegnete?
»Wer ist es denn?« fragte sie mit zärtlichem Humor.
»Er heißt Herbert Guntram und ist Architekt. Und ihm gehört das tolle Auto, in dem Jürgen Barwasser mich gestern abend abgeholt hat. Übrigens ist er mit Jürgen verwandt. Jürgens Mutter ist seine Schwester.«
Viktoria hob überrascht die Augenbrauen, es sah aus, als bewältige sie eine komplizierte Kopfrechnung: »Wie alt ist der Mann denn eigentlich?«
»So um die Vierzig herum...«, murmelte Manuela.
»Lieber Gott im Himmel!«
»Was hast du, Vicky?« fragte Manuela mit tückischer Sanftmut, »wie groß war denn der Altersunterschied zwischen dir und Papa?«
»Das steht hier doch nicht zur Debatte«, sagte Viktoria leicht irritiert.
»So? Ich habe aber das Gefühl, daß die Zollstäbe bei dir verschieden lang sind.«
Viktoria stand auf und marschierte in die Küche hinaus. Ihre hohen Absätze klapperten laut über den Linoleumbelag des Korridors. »Ich rede dir in nichts hinein«, sagte sie grimmig, »tu, was du nicht lassen kannst. Verbrenne dir die Finger oder verbrenne sie dir nicht. Erfahrungen muß jeder für sich allein sammeln.«
Das Telefon unterbrach sie in ihren Sentenzen, es stand auf dem Handschuhkasten im Flur. Viktoria hob den Hörer ab und vernahm eine fremde Männerstimme.
»Einen Augenblick, Herr Guntram«, sagte sie, »Sie sprechen mit Manuelas Mutter. Ja, unsere Stimmen haben eine gewisse Ähnlichkeit, das höre ich häufig. Ich rufe Manuela an den Apparat.«
Das war nicht nötig, denn Manuela stürzte schon herbei und riß ihr den Hörer aus der Hand: »Oh, endlich! Ich warte seit Stunden auf deinen
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