Grün wie ein Augustapfel
nach und hatte den Umschlag, ohne das Siegel auch nur zu berühren, geöffnet.
»Ich werde verrückt«, stieß Werner hervor.
»Los, Gregi, knips schon«, befahl Werner und schob Gregor den Bogen zu, der in Maschinenschrift die mathematischen Aufgaben enthielt. »Ich mache inzwischen die anderen auf.«
»Laß das! Werner und ich brauchen es nicht!«
»Aber Leute, wo es so kinderleicht geht.«
»Nein, verdammt noch mal«, fuhr Werner ihn an, »wenn du noch den Aufsatz haben willst, bitte sehr! Aber dann ist Schluß!«
Gregor breitete den Bogen mit den mathematischen Aufgaben auf dem Schreibtisch aus, er beschwerte die Ecken mit dem Silen, seinem Taschenmesser, einem Schächtelchen mit Heftklammern und einem metallenen Drehbleistift, er beugte sich mit dem Oberkörper weit über die Tischkante, visierte das Blatt senkrecht von oben an und schoß vorsichtshalber drei Aufnahmen.
»Diese verdammten Steißtrommler«, knurrte Walter entrüstet, der inzwischen den Umschlag mit den deutschen Aufsatzthemen geöffnet hatte, »hört euch das mal an! >Welche Bedeutung hat Ihrer Meinung nach die humanistische Bildung für die geistige und politische Entwicklung der Gegenwart und Zukunft?< Teufel, Teufel, da haben die Brüder im Ministerium sich vielleicht Gemeinheiten ausgetüftelt, was!«
In diesem Augenblick blies Werner das Licht aus. Sie standen in rabenschwarzer Finsternis. Die Blätter in Walters Hand raschelten.
»Was fällt dir ein?« rief er unwillig.
»Es kommt jemand«, flüsterte Werner abgeschnürt.
»Blödsinn«, zischte Walter.
Aber die Schritte, die sich auf dem hallenden Korridor näherten, waren nicht mehr zu überhören.
»Kniesel«, flüsterte Gregor gehetzt und tastete in der Dunkelheit nach seinem Taschenmesser. Er fand es sofort und schob es zu der Kamera in die Hosentasche. Die Schublade flog zu. Ein Blatt flatterte auf den Boden.
»Hinter den Schreibtisch«, zischte Walter. Er zog Gregor mit. Werner wollte auf der anderen Seite um den Schreibtisch herumlaufen, er spürte plötzlich einen kleinen Widerstand, die Schnur der Schreibtischlampe, die zu einem Stecker in der Wand führte. Es gab einen ohrenbetäubenden Krach, die grüne Glasglocke der Lampe zersplitterte am Boden.
Im gleichen Augenblick riß Hausmeister Kniesel die Tür auf. Der grelle Lichtkegel einer großen Stablampe fuhr suchend über den Fußboden, schnellte einmal kurz über die Wände hinweg, und blieb auf dem Schreibtisch hängen. Auf den Umschlägen, auf der Kerze, an der Walter die Klingen erhitzt hatte, auf den Briefbögen... Hausmeister Kniesel begriff im gleichen Moment, was hier gespielt wurde.
»Nun kommt schon 'raus, ihr staubigen Brüder«, sagte er fast gemütlich, »und macht mir keine Zicken, verstanden! Na los, wird's bald?!« Er kam einen Schritt näher und ließ den Scheinwerferkegel um den Schreibtisch herumwandern.
»Ihr habt die Partie verspielt, Jungens. Raus mit euch! Aber ein bißchen dalli! Oder muß ich euch Beine machen?« Seine Stimme wurde drohend.
Aber in dem Augenblick, in dem Gregor sich aus der Hockstellung erheben und ergeben wollte, tastete Walters Hand nach dem bronzenen Silen. Er richtete sich blitzschnell auf, verdeckte sein Gesicht, zum Blendschutz und um von Kniesel nicht erkannt zu werden, mit den gespreizten Fingern der linken Hand und schleuderte die Bronzefigur mit voller Wucht in die Lichtquelle hinein. Das Glas zersplitterte, das Licht erlosch, Kniesel brüllte vor Schmerz auf, und die drei Jungen rannten an ihm vorbei in den Korridor hinein, besinnungslos vor Angst, von einer Panik erfaßt, die ihnen den Verstand lähmte. Sie rasten die Treppe hinunter, links um die Ecke, den Korridor des Erdgeschosses entlang und in das letzte Klassenzimmer hinein, dessen Tür weit offen stand. Wer hatte sie offengelassen? Sie jagten um die Bänke herum zum letzten Fenster links, wo sie ihre Schuhe zurückgelassen hatten.
Die Schuhe waren nicht mehr da!
Durch das leere Gebäude hallte das Gebrüll des Hausmeisters. Der Widerhall der leeren Korridore und des großen Treppenhauses verzehnfachte die Lautstärke seiner Flüche und Hilferufe.
»Wenn Kniesel unsere Schuhe gefunden hat«, keuchte Gregor.
»Raus«, zischte Walter, »nichts wie 'raus und weg!«
Er schwang sich über die Fensterbrüstung, fand auf dem Vorsprung des Steinsockels Halt und sprang in den Hof hinab. Gregor und Werner folgten ihm. Sie rannten schuhlos auf den Strümpfen über den Kies, sprangen die Mauer an und saßen
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