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Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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wäre.«
    »Und du?«
    »Ich lag hinter der letzten Bank am Boden und habe mich nicht gerührt, bis sie draußen waren.« Er schloß das Fenster geräuschlos und wickelte sich die Wäscheleine um den Bauch.
    »Zieht eure Schuhe aus! Und unterwegs keinen Laut! Das geringste Geräusch hallt in den leeren Korridoren, als ob 'ne Kanone abgefeuert wird. Übrigens — die Tür zum Zimmer vom Chef ist offen.«
    »Was! Sie war nicht zugesperrt?«
    »Doch, aber sie hat nur ein einfaches Sperrschloß, ein Druck mit dem Haken genügte.« Er ließ den Strahl einer kleinen Akku-Taschenlampe auf flammen und sah, daß Gregor und Werner ihre Schuhe in der Hand hielten. »Stellt sie zu meinen Pantinen, links neben das Fenster. Und jetzt ab dafür.«
    Sie schlichen hinter Walter her. Ein Klassenzimmer war wie das andere eingerichtet, am Fenster der breite Gang, vor der Wand das Katheder neben der Tafel, drei Bankreihen mit je zwei Sitzen, sie hätten sich blind darin zurechtgefunden, ohne irgendwo anzustoßen. Walter konnte darauf verzichten, die Taschenlampe zu benutzen. Er öffnete die Tür, lauschte auf den Korridor hinaus, und ließ Gregor und Werner vorangehen. Sie huschten wie Schatten an den Klassenzimmern der Sexta, Quinta und Quarta vorbei und kamen in das Treppenhaus, wo rechts eine schmale Halbtreppe zur Wohnung von Hausmeister Kniesel führte. Links ging es über die breite Haupttreppe aus Kunststein ins erste Stockwerk hinauf, wo das Klassenzimmer der Oberprima linker Hand am Ende des Korridors neben dem Direktoratszimmer lag. Walter Schulz öffnete die Tür, als sei er hier daheim. Gregor spürte eine quälende Trockenheit in der Kehle, einen kaum unterdrückbaren Hustenreiz, und das Herz schlug ihm bis zum Hals hinauf, und hinter sich hörte er wieder das schabende Geräusch, mit dem Werner sich die schwitzenden Hände an dem Rips seines Anoraks trockenrieb. Walter schloß die Tür hinter ihnen.
    »So«, sagte er fast mit normaler Lautstärke, »das hätten wir geschafft.« Er schien die Lage kaltblütig zu meistern.
    »Nicht so laut«, zischte Werner ihn an.
    »Hier hört uns keine Sau.«
    Gregor sah sich um, aber es war so finster, daß er nicht einmal die Konturen der Möbel erkennen konnte, obwohl er den
    Raum genau kannte, denn als Sprecher der Klasse war er oft genug zum Chef zitiert worden. Es war ein spartanisch einfach eingerichtetes Zimmer. Der Schreibtisch, das einzige einigermaßen komfortable Stück, war Dr. Gmeindls Privateigentum. Ein Silen aus patinierter Bronze schmückte ihn, ein Erinnerungsstück, das der Oberstudiendirektor aus Pompeji mitgebracht hatte. Der Schreibtisch stand in der Nähe des einzigen Fensters. Links befand sich ein altes Sofa mit einem verschossenen, einstmals grünen Bezugsstoff, davor ein ovaler Tisch, auf dem zumeist eine blaue Schale mit Äpfeln stand. Um den Tisch herum waren ein paar hart gepolsterte Stühle gruppiert, deren Lehnen ächzten, wenn man darauf Platz nahm. Hier empfing Dr. Gmeindl Eltern, die sich um das Fortkommen ihrer Söhne Sorgen machten. Im Pennaljargon hieß dieser Teil des Zimmers die >Wimmerecke<. Dem Sofa gegenüber standen vor der anderen Wand zwei gewaltige Schränke mit verstaubten Schulakten, daneben ein kleinerer Rollschrank mit Zeugnisvordrucken und anderen Formularen, und rechts der Bücherschrank mit langen Reihen ledergebundener Klassiker und antiker Autoren sowie einem vierundzwanzigbändigen Meyer des Jahrgangs 1905. Das graue Knaurlexikon der letzten Ausgabe genügte für die Gegenwart vollständig, es war dort hineingepreßt, wo beim alten Meyer der Band >Lonier bis Kimono< seit Menschengedenken fehlte.
    »Sind die Vorhänge dicht?« fragte Gregor gepreßt.
    »Ob sie absolut dicht sind, weiß ich nicht«, antwortete Walter, »aber keine Bange, das Fenster geht auf den Park hinaus, und der Chef wird ja nicht gerade draußen lustwandeln.« Er ließ die Taschenlampe aufleuchten. Plötzlich, wie hingezaubert, standen die bekannten Möbel im bekannten Raum, der dunkle Diplomatenschreibtisch mit drei Schubladen und zwei Seitenfächern, das verschossene Sofa, der gelbe Birkentisch und die alten Stühle mit ihren gedrechselten Lehnen, die gute Garnitur aus einem Salon der achtziger Jahre. Und von der Höhe der Schränke starrten links Homer aus blinden Augen und rechts Sokrates mit seiner listigen Kartoffelnase auf die drei Freunde herab.
    Walter ließ den Lichtstrahl über den Schreibtisch tanzen. Er holte ein kleines Bündel mit klirrenden

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