Grün wie ein Augustapfel
ihren Vorschlag Zustimmung und Beifall.
»Habt ihr überhaupt gehört, was ich gesagt habe?« fragte sie entrüstet.
»Du sprachst von Herrn Balzer«, murmelte Guntram, »aber ich meine, es ist besser, du läßt ihn vorläufig aus dem Spiel. Die Sache ist zu gefährlich, um sie zu überstürzen.«
Er warf einen Blick auf seine Uhr und erhob sich.
»Es tut mir leid, Sie beunruhigt zu haben, gnädige Frau«, sagte er und beugte sich über Viktorias Hand, »aber ich würde Ihnen raten, Freytag sehr genau zu beobachten. Ich kann an seine Ehrlichkeit nicht glauben.«
»Ich danke Ihnen, Herr Guntram«, sagte sie bedrückt, »aber was erwarten Sie von mir? Ich habe das Geschäft Freytag überlassen, weil ich zu wenig davon verstehe und weil ich ihm vertraute. Ich bin eine miserable Schauspielerin. Wie soll ich diesem Mann jetzt begegnen? Wie soll ich mit ihm reden? Als ob nichts geschehen wäre? Und wie soll ich ihm im gleichen Raum gegenübersitzen?«
»Ach was«, rief Manuela resolut, »du läßt dich einfach ein paar Tage lang im Geschäft nicht sehen. Ich rufe Freytag übermorgen an, du hättest Grippe oder irgend etwas anderes, und inzwischen haben wir Zeit, uns zu überlegen, was man unternehmen kann.«
»Vielleicht wäre es wirklich das beste, wenn Sie ein paar Tage dem Geschäft fernblieben«, sagte Guntram unsicher. Ihm war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, Viktoria beunruhigt und gegen Freytag einen Verdacht ausgesprochen zu haben, für den es eigentlich nicht den geringsten Beweis gab.
Manuela begleitete ihn zur Tür.
»Sei ein wenig nett zu deiner Mutter«, bat er und zog ihre Hand an seine Lippen, »ich fürchte, daß wir ihr eine unruhige Nacht bereitet haben.«
»Als ob ich schon mal nicht nett zu ihr gewesen wäre«, erwiderte Manuela und spielte gekränktes Reh.
Es war halb zwei, als er in sein Hotel kam. Er trug dem Nachtportier auf, dafür zu sorgen, daß das Frühstück nicht vor zehn in sein Zimmer gebracht würde. Zwei frisch gesottene Vier-Minuten-Eier! Nichts war schlimmer, als wenn die Eier lau serviert wurden und weder weich noch hart waren.
Die Fenster standen offen, es war angenehm kühl im Zimmer, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Die Geschichte mit Freytag ging ihm nicht aus dem Kopf. Der Verdacht, daß ein Mann, der über seine Verhältnisse lebte, sich die Mittel dazu aus einer fremden Kasse beschaffte, lag allzu nah. Stichhaltig war er wahrhaftig nicht. Zur halben Gewißheit war ihm der Verdacht erst geworden, als Viktoria Mellin ihm auf seine Frage bestätigte, was er fast als sicher angenommen hatte, daß Freytag sie nicht erst seit zehn Tagen mit seinen Heiratsanträgen belästigte. Dem Mann stand das Wasser wahrscheinlich bis zum Hals, höchstwahrscheinlich steckte er tief in Schulden, und sicherlich mußte er auch befürchten, daß seine Unterschleife im Geschäft über kurz oder lang entdeckt würden. Es gab für ihn nur einen Ausweg, seine Sorgen loszuwerden: die Ehe mit Viktoria Mellin. Und die Vorstellung, daß es vielleicht nur Zufälligkeiten waren, die es bisher verhindert hatten, daß Freytag dieses Ziel tatsächlich erreichte, verfolgte Guntram bis in den Morgen hinein.
14
Viktoria hätte in dieser Nacht ohne Veronal kein Auge zugemacht. Sie wachte schlaftrunken und von der Tablette benommen auf, als es zweimal schellte. Der Wecker, dessen Läutwerk sie des Sonntags wegen nicht aufgezogen hatte, ging auf halb neun. Es läutete wieder, zwei recht energische Signale. Wer konnte es sein? Der Postbote mit einem Telegramm oder mit einem Eilbrief? Sie schlüpfte ärgerlich in ihren Morgenmantel, strählte das Haar mit den Fingern zurück und ging gähnend zur Tür; sie öffnete sie spaltbreit, um das Telegramm entgegenzunehmen. Auf das übliche Trinkgeld mußte der Bote heute verzichten.
»Geben Sie schon her«, sagte sie schlechtgelaunt.
Der Mann vor der Tür sagte etwas, es klang wie »Kriminalpolizei«. Viktoria wurde nicht munterer, aber sie warf einen Blick durch den Türspalt. Sie sah einen Herrn in einem Trenchcoat und neben ihm einen uniformierten Polizisten.
»Ich heiße Mellin«, sagte Viktoria sehr deutlich, »Sie können es am Türschild lesen!«
»Kriminalinspektor Molinari«, sagte der Zivilist mit einer kleinen Verbeugung und lüftete seinen schwarzen Trachtenhut. In der linken Hand trug er eine braune Aktenmappe.
»Was wünschen Sie eigentlich?« fragte Viktoria ärgerlich, »es ist Sonntag und es ist früh am Morgen.«
»Tut mir leid, Frau
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