Grün wie ein Augustapfel
daheim bleiben werde. Er schien nichts anderes erwartet zu haben, denn er erwiderte, er verstände sehr wohl, daß sie nach den Aufregungen der letzten Tage ruhebedürftig sei. Er fügte hinzu, er hoffe sehr, daß die Angelegenheit, die ihr so viele Sorgen bereite, mit Hilfe eines guten Anwalts besser ausgehen werde, als sie vielleicht im Augenblick noch befürchte. »Verlassen Sie sich ganz auf mich, es liegt nichts vor, was
Ihre Anwesenheit im Geschäft erfordert. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Machen Sie doch mit Gregor für vierzehn Tage Urlaub. In Oberbayern oder in Österreich...«
»Danke, Herr Freytag, ich werde mir Ihren Vorschlag wirklich überlegen.«
Viktoria hängte ein. Nicht eine Minute lang hatte der Gedanke an Freytag sie in den vergangenen Tagen losgelassen. Er verfolgte sie bis in den Schlaf hinein und stand vor ihr, sobald sie erwachte. Acht Jahre lang hatte sie Freytag blindlings vertraut, und in dieser ganzen langen Zeit hatte er ihr nie auch nur den geringsten Anlaß gegeben, an seiner Ehrlichkeit zu zweifeln. Wäre Manuela allein zu ihr gekommen, so hätte sie die Verdächtigung Freytags zweifellos als Hirngespinste abgetan und Manuela wahrscheinlich wegen der Leichtfertigkeit zusammengestaucht, mit der sie Freytag betrügerischer Machenschaften bezichtigte, nur, weil sie ihn im Spielsaal gesehen hatte. Gewicht bekam der Verdacht erst durch Guntram, dem sie Lebenserfahrung und Menschenkenntnis nicht absprechen konnte.
Trotzdem sträubte sie sich dagegen, vielleicht, weil sie es als eine persönliche schmähliche Niederlage empfunden hätte, instinktlos auf einen Betrüger hereingefallen zu sein, der es nicht nur auf ihr Geld, sondern auch auf sie selber abgesehen hatte. Sie wußte genau, wohin Guntram zielte, als er sie fragte, ob Freytag sich ihr zu nähern versucht habe. Die Vorstellung, er hätte mit seiner Werbung bei ihr Erfolg haben können, fraß sich wie eine ätzende Säure in sie hinein. Denn wenn er ihr nur ein wenig sympathischer gewesen wäre, wenn sie die Kinder nicht gehabt hätte, wenn es irgendeinen Umstand gegeben hätte, Probleme etwa, mit denen sie allein nicht fertig geworden wäre, wer weiß, ob sie nicht darum froh gewesen wäre, einen Menschen zu haben, zu dem sie sich flüchten konnte.
Sie hatte Georg Mellin geliebt, daran gab es keinen Zweifel. Aber die Frage, ob es die große, stürmische Leidenschaft gewesen sei, von der sie als junges Mädchen geträumt hatte, wagte sie jetzt nicht mehr zu stellen. Wenn sie heute sagte, sie sei glücklich gewesen, dann meinte sie damit, daß sie mit ihrem Leben zufrieden gewesen sei. Ohne das Bild auf ihrem Schreibtisch hätte sie sich heute vielleicht darauf besinnen müssen, wie Georg Mellin ausgesehen hatte. Und vielleicht waren es gerade kleine Ähnlichkeiten zwischen Georg Mellin und Freytag, die sie an Freytag störten. Wie Georg wusch er sich hundertmal am Tag die Hände, wie Georg öffnete er Türen am liebsten mit dem Ellenbogen, wie Georg legte er übertriebenen Wert auf neue und sorgfältig gepflegte Schuhe, einen tadellosen Haarschnitt, einen pedantisch gebundenen Krawattenknoten. Nie verließ er das Büro, ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen, und jedesmal fuhr er mit der Kleiderbürste über seinen Kragen. Georgs Pedanterie hatte sie übersehen oder mit Humor hingenommen. Bei Freytag hatte sie der Humor gänzlich verlassen, seine Pedanterie machte sie einfach nervös.
Vor wenigen Tagen wäre sie ihm für seinen Rat, die Stadt mit Gregor für ein paar Wochen zu verlassen, dankbar gewesen. Jetzt fragte sie sich, was sich hinter seinem Vorschlag versteckte. Wollte er sie loswerden, um im Geschäft freie Hand zu haben? Es war ihr fast gleichgültig, denn es verlockte sie, das Haus zu verlassen, in dem die Nachbarn hinter den Türen tuschelten und sie mit einer falschen Fröhlichkeit grüßten, als wüßten sie von nichts, oder bei der Begegnung im Treppenhaus in ihren Gruß eine ernste Anteilnahme legten, die sie für die leidgeprüfte Mutter eines jugendlichen Verbrechers für angemessen hielten. Die Reisesaison hatte noch nicht begonnen, wohin man auch ging, an den Chiemsee, nach Berchtesgaden oder nach Lindau, überall fand man jetzt noch gute Aufnahme. Und in zwei oder drei Wochen verlief sich das ganze Geschwätz im Sande. Und irgend etwas mußte mit Gregor geschehen.
Der Junge machte ihr Sorgen. Er hockte glanzlos und in sich gekehrt in seinem Zimmer herum, lag auf dem Bett und starrte gegen die
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