Grün wie ein Augustapfel
tat, als überlege sie: »Ja, er wäre jetzt dreiundsechzig.«
»Wärest du mit ihm heute noch glücklich?«
»Ich wäre sehr glücklich, wenn er noch leben würde«, antwortete Viktoria mit einiger Schärfe.
»Das kaufe ich dir unbesehen ab. Aber das war nicht der Sinn meiner Frage. Ich habe dich gefragt, ob du auch heute noch mit ihm glücklich wärest. Du weißt ganz genau, was ich meine.«
»Was verstehst du unter Glück?« fragte Viktoria. Sie stand vor dem Fenster, das Licht wob metallische Reflexe in ihr kupfern getöntes Haar und verschattete ihr Gesicht.
»Genau das, was auch du darunter verstehst«, sagte Manuela, »aber erspar dir jede weitere Antwort. Du hast sie mir mit deiner Frage bereits gegeben.«
»Ich war mit deinem Vater sehr glücklich verheiratet«, sagte Viktoria ruhig. »Er war zärtlich und aufmerksam, er war klug und tüchtig, er hatte keine Launen, und es gab zwischen uns keine Verstimmung, die länger als ein paar Stunden dauerte. Das ist mehr Glück, als man als Frau von einer Ehe erwarten kann.«
»Das langt mir aber nicht«, rief Manuela heftig.
»Ich weiß, du verlangst ewige Flitterwochen. Du verlangst, daß dir der Mann, den du liebst, täglich ein paar Sterne vom Himmel pflückt.«
»Ach was! Ich verlange nur, daß er für mich Zeit hat. Aber wenn ich abgewimmelt werde wie ein lästiges Insekt...«
Ihre Augen sprühten Funken.
»Um Gottes willen, du hast Herrn Guntram doch nicht etwa eine Szene gemacht?« rief Viktoria entsetzt.
»Beruhige dich, Vicky, ich habe nicht, aber ich werde!«
»Untersteh dich«, sagte Viktoria mit unheilverkündender Stimme, »dann lernst du mich von einer anderen Seite kennen!«
»Also schön, ich werde mich beherrschen«, sagte Manuela achselzuckend und stieß sich vom Türrahmen ab. »Ich verschwinde jetzt. Ruf mich bei Helma Bode an, falls Herr Balzer sich melden sollte. Helma strickt mir einen tollen Sommerpulli.«
»Balzer...«, murmelte Viktoria; es klang, als glaube sie nicht mehr daran, daß von dem jungen Mann noch eine angenehme oder unangenehme Nachricht zu erwarten sei.
Manuela hatte das Haus kaum verlassen, als Viktoria vom Balkon aus Guntrams Wagen um die Ecke kommen und vor dem Haus halten sah. Sie wollte sich zurückziehen, aber er hatte sie bereits entdeckt und winkte einen Gruß hinauf. Viktoria empfing ihn mit der Nachricht, daß Manuela nicht daheim sei. Er bedauerte, Manuela nicht anzutreffen, aber er fügte hinzu, er sei eigentlich nicht wegen Manuela gekommen, sondern um sich nach Viktorias Befinden zu erkundigen, und vor allem, um zu erfahren, wie es Gregor gehe. Viktoria hatte das Gefühl, er sei fast erleichtert, Manuela nicht zu begegnen.
»Gregor macht mir Sorgen. Er ist überhaupt nicht ansprechbar. Vor einer Stunde machte ich ihm den Vorschlag, mit mir zu verreisen. Angeln, baden, segeln, das hätte ihn sonst an die Decke gehoben, aber er reagierte überhaupt nicht darauf.«
»Überlassen Sie ihn ruhig seinem Weltschmerz. In seinem Alter hat man eine sehr dünne und verletzbare Haut. Wir werden ihn aus seiner Lethargie schon herausschütteln. Wo ist er jetzt?«
»In seinem Zimmer. Er rührt sich überhaupt nicht heraus.«
»Ich werde ihn mir vornehmen. Von Mann zu Mann. Wenn Sie es gestatten...«
»Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Guntram. Ich habe mich noch nie so hilflos gefühlt.«
Sie saßen sich, durch den niedrigen Tisch getrennt, schräg gegenüber. Viktoria in einer Ecke des Sofas. Guntram in einem der drei um den Tisch gruppierten Sessel. Er zündete sich eine Zigarette an. Den Vermouth, den Viktoria ihm anbot, lehnte er dankend ab, er hatte später noch mit der Polizei zu tun, da die Untersuchung des Bauunfalles noch nicht beendet war. Zum Glück hatten die Arbeiter nur leichte Verletzungen erlitten und waren bereits in ambulanter Behandlung.
»Ich fürchte, Manuela gekränkt zu haben«, sagte er unvermittelt, »ich hatte für sie nur wenig Zeit. Ist sie mir sehr böse?«
»Finden Sie sie immer noch bezaubernd?« fragte Viktoria mit sanftem Spott.
»Immer noch«, antwortete er mit einer kleinen Verbeugung, »und ich glaube nicht, daß sich das in absehbarer Zeit ändern wird. Ich wäre sehr stolz, wenn sie meine Tochter wäre. Was mich stört, ist der Gedanke, daß sie meine Tochter sein könnte.«
»Wären Sie sehr enttäuscht, wenn ich Ihnen sagen würde, daß Manuela sich ähnliche Gedanken zu machen beginnt?« fragte Viktoria. Sie machte dabei ein etwas ängstliches Gesicht, als befürchte
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