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Grün wie ein Augustapfel

Grün wie ein Augustapfel

Titel: Grün wie ein Augustapfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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sie, einen Pfropfenzieher in einen brüchigen Korken gebohrt zu haben.
    »Ach, Frau Viktoria«, sagte er etwas kurzatmig, »Sie könnten mir nichts sagen, was ich lieber hören möchte. Ich will Ihnen ehrlich gestehen, als ich Manuela zum erstenmal begegnete, war ich entflammt. Und als ich bemerkte, daß sie sich unbegreiflicherweise in mich verliebt hatte, war ich glücklich und stolz. Stolz darauf, in meinem Alter noch solch eine Eroberung gemacht zu haben. In meinem Alter... Zum Glück erinnerte ich mich daran — und peinlicherweise wurde ich daran erinnert...«
    »Ich weiß, Herr Guntram, Manuela erzählte es mir.«
    »Wahrscheinlich wäre ich auch ohne den peinlichen Zwischenfall zur Besinnung gekommen. Ich will damit nicht sagen, daß ich völlig abgekühlt bin, aber was ich für Manuela empfinde, ist die zärtliche Liebe eines Vaters für seine hübsche Tochter. Ich möchte sie verwöhnen, ich möchte sie ausführen, ich möchte mich mit ihr sehen lassen, und vielleicht würde ich sogar auf den jungen Mann, der sie mir eines Tages wegnehmen wollte, eifersüchtig sein...« Er fuhr sich mit dem Taschentuch über die feuchte Stirn und bewegte den Hals, als beenge ihn der Kragen.
    »Erwarten Sie von mir, daß ich Manuela schonend beibringe, was Sie mir erzählt haben?«
    »Nein, nein«, entgegnete er hastig, »das ist natürlich meine Aufgabe, und ich habe nicht die Absicht, mich davor zu drücken.«
    »Aber ich helfe Ihnen gern dabei.«
    »Darauf habe ich nicht zu hoffen gewagt.«
    »Und wenn Ihre Eifersucht — ich meine Ihre väterliche Eifersucht — in erträglichen Grenzen bleibt, dann will ich Ihnen ein Geheimnis verraten.«
    »Bitte?« murmelte er und schluckte die kleine Bosheit, die in ihren Worten zu liegen schien, trocken hinunter.
    »Ihr Neffe Jürgen Barwasser hat Manuela gestern oder vorgestern gefragt, ob sie seine Frau werden will.«
    »Jürgen?« rief er verblüfft, »aber dieser Bengel...«
    »... ist immerhin sechsundzwanzig Jahre alt und soll, wie er Manuela erzählt, demnächst als Teilhaber in die Fabrik seines Vaters aufgenommen werden!«
    »Und Manuela?« fragte er. Die Nachricht schien ihn doch ein wenig zu verstören.
    »Manuela hat ihn gebeten, ihr Zeit zu lassen«, antwortete Viktoria heiter. »Und als ich sie fragte, ob sie das für fair halte, meinte sie kühl, erstens sei Jürgen ein sehr netter junger Mann, und zweitens könne es nie schaden, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Wie wäre es jetzt mit einem Cognac, Herr Guntram?«
    »Ich bitte darum«, antwortete er und schluckte.
    Viktoria stellte die Schwenker auf den Tisch und schenkte ein. Sie hob ihr Glas und prostete Guntram zu.
    »Jürgen Barwasser«, murmelte er kopfschüttelnd.
    »Der arme Junge tut mir von Herzen leid«, sagte Viktoria. »Und Sie taten mir genauso leid, als ich befürchtete, Sie könnten unrettbar in Manuelas Netz zappeln. Vielleicht wird sie einmal eine Frau... Ich wünsche es von ganzem Herzen. Aber vorläufig ist sie grün und ungenießbar wie die Äpfel, die jetzt draußen an den Bäumen hängen. Oder sind Sie anderer Meinung?«
    Guntram steckte die Nase tief ins Glas und schnupperte an der Blume des Cognacs: »Hm«, murmelte er, »grün wie ein Augustapfel, aber doch schon voller Süße. Und trotzdem gefällt mir der Vergleich nicht recht. Ich finde, sie ist wie junger Wein, ein Spitzengewächs mit glänzenden Zukunftsaussichten. Aber gerade Spitzengewächse verlangen beim Ausbau Pflege und Erfahrung. Und ob ausgerechnet mein Neffe Jürgen... «
    Viktoria maß ihn mit einem hintergründigen Blick, der ihn verstummen ließ: »Jetzt kommen mir aber ernsthafte Zweifel an Ihren väterlichen Gefühlen!«
    »Verstehen Sie mich, bitte, nicht falsch«, rief er und hob abwehrend beide Hände, »aber mir ist, als hätte ich den Jungen vorgestern über die Taufe gehalten. Ich war nämlich sein Pate. Mit siebzehn Jahren... Und ich nahm es mit meiner jungen Onkelwürde sehr ernst.«
    Viktoria nippte an ihrem Glas und blinzelte ihn ein wenig ironisch an: »Ein verhinderter Vater, ein begeisterter Onkel, ich verstehe nur nicht, daß Sie bei dieser bemerkenswerten Anlage zu Familiengefühlen nicht geheiratet haben.«
    »Ich war verlobt«, sagte er und zündete sich die zweite Zigarette ein wenig umständlich an. »Wir wollten nur das Ende des Krieges abwarten, um zu heiraten. Als ich 1946 aus französischer Gefangenschaft heimgeschickt wurde, 96 Pfund schwer und mit Hungerödemen an den Beinen, bat meine Verlobte den

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