Gründergeschichten
an den Auftrag, vielleicht sogar einer dauerhaften Beteiligung des Konzerns, schienen ihm größenwahnsinnig.
Seine Frau hatte ohnehin schon lange wegen seiner Arbeitsbelastung Druck gemacht. Wenn er nach 18 Uhr im Büro blieb, wurde
er unruhig. Wir |92| waren seit der Universität gut befreundet, doch nun gab es Spannungen in unserem Verhältnis. Ich wollte AeroLas verändern,
er nicht.
»Wir müssen den Entwicklern klarere Vorgaben machen. Sie brauchen zu lange und haben dann doch nicht die Lösung«, drängte
ich.
»Das ist nun mal kompliziert«, verteidigte er seine Leute, für die er als technischer Leiter verantwortlich war.
»Nicht schlecht ist nicht gut genug, wenn’s ums Überleben geht. Lass uns einen Physiker einstellen, der die Luftlager schneller
berechnen kann.«
»Wir haben alle Leute, die wir brauchen.«
»Du verstehst nicht, um was es geht«, warf ich ihm vor.
»Hör auf, alle bevormunden zu wollen«, konterte er.
»Wir diskutieren und diskutieren, aber niemand hat das Ziel klar vor Augen. Im Team fallen keine Entscheidungen. Wir müssen
lernen, die Leute zu führen.«
Er hielt mir vor, mich in seinen Bereich der technischen Leitung einzumischen. Ich konterte, er sei dem Job eines Unternehmers
nicht gewachsen. Mein Mitgründer ist ein sehr netter Mensch. Ich eher so ein Beißertyp. Er wollte schließlich alles verkaufen,
ich weitermachen.
Kurz darauf suchten zwei meiner wichtigsten Ingenieure das Gespräch bei mir zu Hause und sagten, die Firma habe keinen Sinn
mehr, sie wollten kündigen. Ohne sie hätte ich nicht weiter machenkönnen. Sie wussten nicht genau, wie gefährlich nahe null
das Kapital der Firma schon gesunken war. Die Investoren hatten sich bei ihnen nach der Auftragslage und der allgemeinen Stimmung
erkundigt. Dazu kamen die Verkaufspläne meines Partners. All das hatte sie natürlich |93| alarmiert. Ich machte ihnen klar, wie sehr die Firma von ihnen abhing, und betonte immer wieder, welche grenzenlosen Chancen
unsere Technologie hätte – wenn nur ein Großer einsteigen würde und in einem Schneeballeffekt andere folgen würden. Natürlich
hatte auch ich meine Zweifel. Aber das darf man sich auf keinen Fall anmerken lassen, sonst ist alles aus. Angst steckt an.
Zuversicht auch. Meine zwei Mitarbeiter gingen, ohne zu sagen, ob sie bleiben würden. Sie hatten gesehen, dass ein Ende der
Firma gleich eine ganze Familie – meine Frau war bei dem Gespräch anwesend – in den Ruin stürzen würde. Deshalb zögerten sie
wohl.
Ich stand an der Wand. Aufgeben konnte ich mir nicht vorstellen. Am letzten Donnerstag im September um 17 Uhr fasste ich mir
noch einmal ein Herz und rief zum x-ten Mal den Entwicklungsleiter des Großkonzerns an.
»Gibt’s was Neues?« fragte ich.
«Herr Muth, wir kriegen leider diese Entwicklung nicht durch«, antwortete er.
Und dann fiel mir doch noch der Dreh für die richtige Frage ein: »Wie viel Geld wäre Ihnen ein halbes Jahr Zeitersparnis bei
Ihren schon laufenden Entwicklungen wert?«
Es war vorlaut und natürlich Spekulation, dass unser Luftlager sein gesamtes Projekt für den neuen Bestückungsautomaten so
sehr beschleunigen würde. Aber die Frage erzielte die gewünschte Wirkung. Er war wie ausgewechselt.
»Warten Sie, ich frage schnell unseren Einkaufsleiter«, sagte er und verschwand.
Nach fünf Minuten war er wieder am Apparat: »Herr Muth, kommen Sie bitte morgen mit einer Rechnung über |94| 300 000 Euro vorbei. Und zwar vor neun Uhr, da haben wir Geschäftsabschluss fürs gesamte Jahr.«
300 000 Euro waren die erste Tranche des Projekts, das insgesamt 1,5 Millionen wert war. Ich schrieb die Rechnung und war
am nächsten Morgen rechtzeitig in seinem Büro. Der Einkaufsleiter saß schon da. Der Entwicklungsleiter kam sichtlich erleichtert
aus einer Sitzung und setzte sich zu uns.
»Herr Muth, jetzt können Sie loslegen, alle Abteilungen haben zugestimmt.«
Er unterschrieb die Rechnung. AeroLas konnte nun für drei weitere Monate überleben. Die zwei Mitarbeiter sahen wieder eine
Zukunft in der Firma und blieben. Doch dann, noch am Freitagabend, die Nachricht: Der Entwicklungsleiter hatte einen Herzinfarkt
erlitten und würde nie wieder in die Firma zurückkehren. Sein Stellvertreter wollte den Auftrag an AeroLas am Montag stornieren.
Das wäre das Aus gewesen. In den Folgetagen ging ich mit meiner Frau und den drei Töchtern täglich einmal in Ottobrunn zur
Eisdiele – um am
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