Gründergeschichten
Gadowski?
Er war einer der ersten, über den deutsche Medien berichteten, als das Schlagwort Ende 2005 aus Amerika nach Europa schwappte.
Genau wie beim ersten Internetfieber brauchte man schnell Erfolgsgeschichten, personalisierte Unternehmensstorys über junge
Leute und ihre Plattformen, die im besten Fall nach kurzer Zeit von großen Konzernen aufgekauft oder von Kleinanlegern an
der Börse reich gemacht werden, Pioniere, mutige Gründer, Helden. Gadowski ließ sich das gefallen: »Wir haben diesen Presseeffekt
natürlich gern mitgenommen.« Warum auch nicht? Schließlich habe es das ja alles auch nach der geplatzten New-Economy-Blase
tatsächlich immer noch gegeben.
»Obwohl es stetig voranging, neue interessante Anwendungen entstanden, Nutzerzahlen und Verweildauer stiegen und so weiter,
hatte das Netz seinen Ruf verdorben, eigentlich zu unrecht. Um es wieder zu rehabilitieren, musste ein neuer Begriff her.
Etwas Kurzes, Prägnantes. Etwas, das für eine ganze Menge steht, womit sich jeder identifizieren kann. |116| Ausreichend diffus also. Das ist mit dem Begriff Web2.0, wie ich finde, hervorragend gelungen.«
In einem seiner Weblogs, seinen regelmäßigen Kommentaren im und über das Internet, hat er das schon vor einer Weile gestanden:
»Juhuu«, schrieb er dort über Berichte und Titelstorys, in denen er ständig als Web2.0-Pionier gefeiert wurde, »ziemlich gut
getimed, und einmal im Sog, gibt es kein Entrinnen …«
In der Euphorie des Web1.0 hatten sich die Firmenwerte innerhalb weniger Monate vervielfacht. Ab 2000 gingen sie dann in den
freien Fall über. Genau solche Höhenflüge und Abstürze waren es, die das Internet zumindest bei vielen Anlegern als reine
Geldvernichtung in Verruf gebracht hatten. Spätestens seit 2001 wollte niemand mehr etwas von E-Commerce oder New Economy
hören, bis neue Begriffe wie Web2.0 vor etwa zwei Jahren auch hierzulande begannen, wieder Hoffnung zu suggerieren. Und ausgerechnet
Gadowski gefällt es nun, ein wenig Luft aus der neuen Blase zu lassen:
»Wir haben einfach als Erste ganz laut ›hier!‹ geschrieen, als sich abzeichnete, dass auch der deutsche Markt reif für dieses
Label war«, gibt er vor der versammelten Gemeinde zu und schaut in teilweise entsetzte Gesichter. Schnell muss er die Stimmung
wieder heben und rechtfertigt die Imagepolitur so: »Die Angst nach der Blase war doch genauso übertrieben, wie die Euphorie
davor. Dabei ist das Internet nach wie vor eine neue Fundamentaltechnologie, die quer durch die Gesellschaft alles beeinflusst.
Wie der Strom, die Industrialisierung – das sind immer die gleichen typischen Zyklen: Einer fängt an, alle werden wild und
wahnsinnig, verlassen ihre sicheren Beraterarbeitsplätze, riskieren das Auskommen ihrer Familie, |117| bis erstmal alles crasht. Erst danach wird es interessant, wenn das eigentliche Wachstum und die echte Wertschöpfung beginnt.«
Aus seiner Sicht ist das jetzt.
Lukasz Gadowski definiert Web2.0 ausschließlich über die Zeitschiene: »Alle Gründungen ab 2004 könnte man dazu zählen, alles
davor ist das alte Internet aus Web-Shops und Suchmaschinen, wie man sie nun schon seit 10 Jahren kennt. Ein Web2.0-Unternehmen
ist also ein internetbasiertes Unternehmen, welches in oder nach dieser Rehabilitationsphase entstanden ist, und wird genau
so lange Web2.0 sein, bis ein neues starkes Paradigma eine neue Ära einleitet, die wieder eigene Begriffe mitsichbringt.«
Und Spreadshirt? Nach dieser Definition des gefeierten Web2.0-Propheten Lukasz Gadowski dürfte ja selbst sein eigenes, ebenso
oft als eines der erfolgreichsten Web2.0-Start-Ups bejubeltes Unternehmen nichts mit Web2.0 zu tun haben? Immerhin hat er
es schon 2002 gegründet.
»Genau«, sagt er und entschuldigt sich für den Ritt auf diesem Irrtum in seinem Blog schon länger ebenso freimütig: »Spreadshirt
ist kein Web2.0-Unternehmen. Sorry, ich hoffe, niemand ist allzu sehr enttäuscht und dass der Service trotzdem allen gefällt
und sie weiter stolz auf ihre Spreadshops und Produkte sind. Aber es stimmt schon, wenn Leute fragen: ›Wie, Spreadshirt soll
Web2.0 sein? Dass ist doch eine T-Shirt Bude‹. – Ja, wir sind eine T-Shirt-Bude! Und stolz darauf. Halt, ein Schritt zurück,
nicht eine T-Shirt-Bude sondern DIE T-Shirt-Bude, so viel Selbstvertrauen muss sein.«
Gadowski trägt gern unter dem Sakko ein T-Shirt, auf dem »POST BUBBLE PIONEER« steht. Darauf ist er stolz.
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