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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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ODERNSTES H OTEL ), 411 2 ND A VENUE N ORTH , B IRMINGHAM , A LABAMA
    23. Dezember 1965
    Smokey saß gegenüber der geschlossenen L & N-Station in einem Hotelzimmer, das vor fünfunddreißig Jahren hochmodern gewesen sein mochte, aber jetzt nur mehr ein Bett, einen Stuhl und eine am Kabel baumelnde Vierzig-Watt-Glühbirne enthielt. Der Raum war stockdunkel, bis auf das trübe gelbe Licht, das durch das Glasfenster in der hohen, dicklackierten braunen Tür hereindrang.
    Ganz allein saß Smokey Lonesome da, rauchte seine Zigarette und blickte aus dem Fenster auf die kalte, nasse Straße, dachte an Zeiten zurück, wo kleine Sterne im Ring um den Mond gefunkelt und alle Flüsse und der Whiskey süß geschmeckt hatten. Als er noch imstande gewesen war, frische Luft einzuatmen, ohne sich die Seele aus dem Leib zu husten. Als Idgie und Ruth und Stump noch hinter dem Café gewohnt und alle Züge noch verkehrt hatten. Eine besondere Zeit, längst vorbei, aber in seiner Fantasie so nahe …
    Jene Erinnerungen begleiteten ihn immer noch, und heute Nacht suchte er sie hervor, wie schon so oft, tastete nach Mondstrahlen. Manchmal fing er einen und ritt darauf, und es war wie ein Zauber. Ein altes Lied hallte ihm unablässig durch den Kopf.
    »Rauchringe – wohim mögen sie wehen?
Die Rauchringe, die ich in die Luft blase,
Wohin mögen sie gehen?
Diese blauen Ringe, die kenne ich.
Ständig erinnern sie mich an dich …«

P FLEGEHEIM R OSE T ERRACE
    O LD M ONTGOMERY H IGHWAY , B IRMINGHAM , A LABAMA
    22. September 1986
    Als Evelyn Couch den Salon betrat, schlief Mrs. Threadgoode, und plötzlich sah man ihr das hohe Alter an.
    Das erschreckte Evelyn, und sie rüttelte ihre Freundin. »Mrs. Threadgoode!«
    Die alte Dame öffnete die Augen, strich über ihr Haar und begann sofort zu reden. »Oh Evelyn! Sind Sie schon lange da?«
    »Nein, ich bin gerade erst gekommen.«
    »Lassen Sie mich bloß keinen Besuchstag verschlafen? Versprechen Sie das?«
    Evelyn nickte, setzte sich und überreichte ihrer Freundin einen Pappteller mit einem Barbecue-Sandwich und eine Zitroneneistorte, eine Gabel und eine Serviette.
    »Oh Evelyn!« Mrs. Threadgoode richtete sich auf. »Wo haben Sie das her? Aus dem Café drüben?«
    »Nein, ich hab’s eigens für Sie gemacht.«
    »Wirklich? Gott segne Sie!«
    Wie Evelyn während der letzten Monate bemerkt hatte, brachte ihre Freundin Vergangenheit und Gegenwart immer häufiger durcheinander und nannte sie manchmal Cleo. Hin und wieder kehrte dann die Erinnerung zurück, und sie lachte, doch das geschah nur noch selten.
    »Tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin. Aber das passiert nicht nur mir. Hier sind alle so müde.«
    »Können Sie nachts nicht schlafen?«
    »Seit ein paar Wochen kann hier niemand mehr schlafen, Schätzchen. Vesta Adcock telefoniert oft die ganze Nacht. Sie ruft alle an, vom Präsidenten bis zum Bürgermeister. Neulich telefonierte sie sogar mit der Königin von England, um sich über irgendwas zu beschweren. Sie ist so verwirrt wie eine alte Katze, und manchmal lärmt sie die ganze Nacht.«
    »Wieso um Himmels willen schließt sie ihre Tür nicht?«
    »Das tut sie.«
    »Und warum nimmt man ihr das Telefon nicht weg?«
    »Das ist bereits geschehen, aber sie telefoniert trotzdem.«
    »Mein Gott! Ist sie – verrückt?«
    »Drücken wir’s mal so aus«, erwiderte Mrs. Threadgoode mit einem Lächeln. »Sie ist von dieser Welt, aber nicht mehr drin.«
    »Ja, da haben Sie wohl recht.«
    »Schätzchen, ich würde zu meiner Torte gern was trinken. Könnten Sie mir was holen? Ich würde ja selber gehen, aber ich sehe zu schlecht, um am Automaten den Schlitz für die Münze zu finden.«
    »Oh, natürlich, tut mir leid. Ich hätte es Ihnen längst anbieten müssen.«
    »Da ist ein Fünfcentstück.«
    »Seien Sie nicht albern, Mrs. Threadgoode. Großer Gott, ich lade Sie selbstverständlich ein.«
    »Nein, Evelyn. Sie nehmen das Geld. Sie sollen nichts für mich ausgeben. Wenn Sie mich nicht zahlen lassen, trinke ich nichts«, beharrte die alte Frau.
    Schließlich nahm Evelyn das Fünfcentstück und kaufte damit das fünfundsiebzig Cent teure Getränk, so wie immer.
    »Danke, Evelyn … Habe ich Ihnen eigentlich schon erzählt, dass ich Rosenkohl hasse?«
    »Nein. Warum mögen Sie Rosenkohl nicht?«
    »Das kann ich nicht sagen. Ich hasse ihn nun mal. Aber alles andere aus der Gemüsefamilie liebe ich. Bloß kein tiefgefrorenes Zeug und keine Konserven. Ich mag frischen süßen Mais, Limabohnen,

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