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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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stand hinter der Theke und gab Wilbur Wechselgeld zurück. »Wirklich, Grady, ich verstehe nicht, welchen Schaden Railroad Bill anrichtet. Diese armen Leute verhungern beinahe, und hätte er nicht ein paar Kohlen aus den Zügen geworfen, wären schon viele erfroren.«
    »In gewisser Weise stimme ich dir zu, Ruth. Niemand würde sich wegen einiger Bohnendosen oder Kohlen aufregen. Aber diese Sache gerät außer Kontrolle. Zwischen hier und der Staatslinie hat die Firma schon zwölf neue Leute eingestellt, und ich habe jede Nacht zwei Schichten.«
    Am Ende der Theke trank Smokey Lonesome seinen Kaffee. Jetzt mischte er sich ein. »Zwölf Männer für einen einzigen alten Nigger? Das ist genauso, als würde man mit einer Kanone auf eine Fliege schießen, nicht wahr?«
    »Nimm’s nicht so schwer.« Idgie klopfte Grady auf den Rücken. »Sispey hat mir erklärt, ihr Jungs würdet ihn nur deshalb nicht fangen, weil er sich in einen Fuchs oder Hasen verwandeln kann, wann immer er will. Glaubst du, dass das stimmt?«
    Wilbur wollte wissen, wie hoch die Belohnung war, und Grady antwortete: »Heute Morgen waren’s zweihundertfünfzig Dollar. Wahrscheinlich wird die Summe noch auf fünfhundert steigen, ehe das alles vorbei ist.«
    »Verdammt …« Wilbur schüttelte den Kopf. »Eine Menge Geld. Wie sieht er denn aus?«
    »Einige unserer Leute sind ihm schon begegnet, und die meinen, er sei nur ein einfacher alter Nigger mit Strumpfmaske.«
    »Ein schlauer Nigger, finde ich«, ergänzte Smokey.
    »Vielleicht. Aber eins sage ich euch – wenn ich den schwarzen Hurensohn fange, wird er ein bedauernswerter Nigger sein. Zum Teufel, ich schlafe schon seit Wochen nicht mehr daheim in meinem eigenen Bett.«
    »Das ist doch nichts Neues, nach allem, was ich höre, Grady«, warf Wilbur ein.
    Alle lachten, dann sagte Jack Butts, ebenfalls ein Mitglied des Dillgurkenclubs: »Ja, das muss schlimm sein … Eva Bates hat sich angeblich auch schon beklagt.« Neues Gelächter klang auf.
    »Du solltest dich selber schämen, Jack«, mahnte Charlie. »So schrecklich dürftest du die arme Eva nicht beleidigen.«
    Grady stand auf und schaute sich um. »Ihr seid alle strohdumm.« Er nahm seinen Hut vom Ständer. »Eigentlich sollte man diese Kneipe ›Idiotencafé‹ nennen. Von jetzt an werde ich woanders einkehren.«
    Wieder lachten sie, Grady eingeschlossen, denn alle wussten, dass es in Whistle Stop sonst kein Lokal gab. Er eilte zur Tür hinaus und machte sich auf den Weg nach Birmingham.

1520 W ILLINA L ANE
    A TLANTA , G EORGIA
    27. November 1986
    Stump Threadgoode, mit siebenundfünfzig immer noch ein attraktiver Mann, war bei seiner Tochter Norma zum Erntedankfest-Dinner eingeladen. Gerade hatte er das Alabama-Tennessee-Footballmatch gesehen. Nun saß er mit Normas Mann Macky, seiner Enkelin Linda und ihrem dünnen bebrillten Freund, der Chiropraktik studierte, am Tisch. Sie tranken Kaffee und aßen Pekannusstorte.
    Zu Lindas Freund gewandt, sagte Stump: »Mein Onkel Cleo war Chiropraktiker. Natürlich verdiente er keinen Cent damit, weil er alle Patienten kostenlos behandelte. Aber das war während der Wirtschaftskrise, und da hatte ohnehin niemand Geld. Meine Momma und Tante Idgie betrieben ein Café, nur eine einfache kleine Kneipe, aber eins sag’ ich euch – wir bekamen immer was zu essen, und auch alle anderen, die um ein paar Bissen baten. Schwarze genauso wie Weiße. Nie schickte Tante Idgie irgendwen weg, und sie war auch dafür bekannt, dass sie einem Mann was zu trinken spendierte, wenn er’s brauchte.
    In ihrer Schürzentasche steckte immer eine Flasche, und Momma sagte: ›Idgie, du bestärkst die Leute noch in ihren schlechten Gewohnheiten.‹ Aber Tante Idgie, die selber gern was trank, erwiderte: ›Ruth, der Mensch lebt nicht vom Brot allein.‹
    Jeden Tag tauchten zehn bis fünfzehn Tramps auf. Aber die scheuten sich nicht, ein bisschen was für ihre Mahlzeit zu arbeiten. Die waren anders als die heutigen Landstreicher. Sie rechten den Garten oder fegten den Gehsteig. Tante Idgie erteilte ihnen immer kleine Aufträge, um ihren Stolz nicht zu verletzen. Manche waren sogar meine Babysitter im Hinterzimmer und dachten, das wäre auch Arbeit. Die meisten waren gute Kerle, die eben nur Pech gehabt hatten. Tante Idgies bester Freund war ein alter Tramp namens Smokey Lonesome. Dem konnte man sein Leben anvertrauen. Und der nahm sich nichts, was ihm nicht zustand.
    Diese Landstreicher hatten einen Ehrenkodex. Smokey erzählte

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