Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
bezeugen?«
»Nein, Sir.«
»Warum nicht?«
»Weil sie vor acht Jahren starb.«
»Und Ihre Mutter?«
»Sie ist auch tot.«
Sekundenlang balancierte er auf den Zehenspitzen, dann wirbelte er wieder zu den Geschworenen herum. »Also, Miss Threadgoode … Sie erwarten von zwölf intelligenten Männern, Ihnen das zu glauben – obwohl zwei Zeugen tot sind und der dritte ein Farbiger ist, der für Sie arbeitet und Ihnen an jenem Tag half, Ruth Bennett aus ihrem glücklichen Heim zu entführen? Dieser Bursche ist als wertloser, nichtsnutziger, verlogener Nigger bekannt. Und Sie muten den Geschworenen zu, Ihr Wort für bare Münze zu nehmen.«
Idgie war zwar nervös, aber der Staatsanwalt hätte Big George nicht beschimpfen dürfen. »Genau, Sie vertrottelter Bastard und aufgeblasener Affenarsch.«
Der Saal explodierte, der Richter schlug vergeblich mit seinem Hammer auf den Tisch. Diesmal stöhnte Big George. Er hatte sie angefleht, nicht für ihn auszusagen, aber sie war fest entschlossen, ihm für jene Nacht ein Alibi zu verschaffen. Wie sie wusste, hatte er sonst keine Chance. Eine weiße Frau würde bei einem Mordprozess eher davonkommen als ein Schwarzer, insbesondere, wenn sein Alibi auf so wackeligen Füßen stand. Nein, sie würde Big George nicht ins Gefängnis wandern lassen, nicht einmal, wenn ihr Leben davon abhinge. Und das konnte durchaus der Fall sein.
Für Idgie nahm die Gerichtsverhandlung einen äußerst ungünstigen Verlauf, und als am letzten Tag der Überraschungszeuge erschien, schwand ihre Hoffnung endgültig dahin. Er rauschte in den Saal, würdig und salbungsvoll – ihr alter Erzfeind, der Mann, den sie jahrelang gepeinigt hatte. Das war’s wohl, dachte sie.
»Nennen Sie bitte Ihren Namen.«
»Reverend Herbert Scroggins.«
»Beruf?«
»Pastor der Baptistenkirche von Whistle Stop.«
»Legen Sie Ihre rechte Hand auf die Bibel.«
Reverend Scroggins erklärte dankend, er habe seine eigene Bibel mitgebracht, legte seine Hand darauf und schwor, die Wahrheit zu sagen, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr ihm Gott helfe.
Idgie beobachtete ihn verwirrt. Offenbar hatte ihr eigener Anwalt ihn hierher bestellt. Warum war er nicht auf die Idee gekommen, das vorher mit ihr zu besprechen? Sie hätte ihm sagen können, dass dieser Mann kein gutes Haar an ihr lassen würde.
Aber es war zu spät, der Priester hatte bereits den Zeugenstand betreten.
»Reverend Scroggins, würden Sie dem Gericht erzählen, warum Sie gestern Abend ein Ferngespräch mit mir führten und was Sie dabei sagten?«
Der Pastor räusperte sich. »Ja. Ich rief Sie an, um Ihnen mitzuteilen, dass ich weiß, wo sich Idgie Threadgoode und George Pullman Peavey in der Nacht des 1. Dezember 1930 aufgehalten haben.«
»War Miss Threadgoode mit dem Farbigen nicht im Haus ihrer Mutter, so wie es während des Prozesses ausgesagt wurde?«
»Nein.«
Oh Scheiße, dachte Idgie, und ihr Verteidiger fuhr fort: »Reverend Scroggins, Sie behaupten also, sie habe gelogen, was ihren Aufenthaltsort an jenem Abend betrifft?«
Der Reverend kräuselte die Lippen. »Nun, Sir, als Christ kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob sie gelogen hat oder nicht. Vermutlich wurden die Daten verwechselt …« Er schlug seine Bibel auf und studierte eine bestimmte Seite. »In all den Jahren habe ich hier gewohnheitsmäßig die Aktivitäten meiner Kirchengemeinde notiert. Gestern las ich meine Aufzeichnungen, und da stellte ich fest, dass am Abend des 1. Dezember unsere alljährliche Erweckungsversammlung in einem Zelt auf dem Gelände der Baptistenkirche begonnen hatte. Schwester Threadgoode war dabei, ebenso ihr Angestellter George Peavey, der für Erfrischungen sorgte – so wie immer während der vorangegangenen zehn Jahre.«
Der Staatsanwalt sprang auf. »Einspruch! Das bedeutet gar nichts. Der Mord kann sich irgendwann während der nächsten zwei Tage ereignet haben.«
Reverend Scroggins starrte ihn erbost an, dann wandte er sich an den Richter: »Euer Ehren, unsere Erweckungsversammlung dauert stets drei Tage und drei Nächte.«
»Und Sie sind sicher, dass Miss Threadgoode daran teilnahm?«, erkundigte sich der Verteidiger.
Diese offenkundigen Zweifel an seinen Worten schienen den Priester zu kränken. »Natürlich!« Nun sprach er die Geschworenen an: »Schwester Threadgoode beteiligt sich an allen unseren kirchlichen Aktivitäten und ist Solosängerin in unserem Kirchenchor.«
Zum ersten Mal in ihrem Leben war Idgie
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