Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
lief ihr entgegen und sprang an ihr hoch. Wie sie wusste, gehörte er Eva, die kein Lebewesen wegschicken konnte. Meistens hingen hier etwa zwanzig streunende Katzen herum und ließen sich von ihr füttern. Sie öffnete die Hintertür, und streute das Futter einfach hinaus. Buddy hatte gesagt, jedes streunende Tier im Umkreis von fünfzig Meilen würde früher oder später bei Eva landen.
Idgie war schon länger nicht mehr am Fluss gewesen, aber hier sah alles noch fast genauso aus wie früher. Die blechernen Reklameschilder waren etwas rostiger geworden, ein paar blaue Glühbirnen ausgebrannt, aber die Leute im Schuppen lachten wie eh und je. Als sie eintrat, wandte sich Eva, die mit einigen Männern an einem Tisch saß und Bier trank, sofort zu ihr und rief: »Mein Gott! Schaut mal, wer uns da hereingeschneit ist!« Sie trug einen rosa Angorapullover, mit Perlen bestickt, und passende Ohrclips. Ihre Lippen waren grellrot geschminkt. »Daddy!«, rief sie ihrem Vater zu, der sich in der Küche zu schaffen machte, »Idgie ist da! Komm schon her, du treuloses Ding!« Sie sprang auf, packte Idgie und presste ihr fast die Luft aus den Lungen. »Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt, Kätzchen? Wir dachten schon, die Hunde hätten dich gefressen.«
Big Jack rannte aus der Küche, noch etwa fünfzig Pfund schwerer als bei der letzten Begegnung mit Idgie. »Ja, wen haben wir denn da? Unsere Kleine! Freut mich, dich zu sehen.«
Eva schob sie ein wenig von sich und musterte sie. »Wie groß und dünn du geworden bist. – Wir müssen sie aufpäppeln, nicht wahr, Daddy.«
Aufmerksam betrachtete Big Jack den Neuankömmling. »Verdammt will ich sein, wenn sie Buddy nicht immer ähnlicher sieht! Guck sie dir doch an, Eva!«
»Klar, du hast recht«, bestätigte seine Tochter und zog Idgie zum Tisch. »Jungs, das ist meine Freundin – Idgie Threadgoode, Buddys kleine Schwester. Setz dich, Schätzchen, und trink was. Moment mal – bist du überhaupt schon alt genug, um was zu trinken?« Dann besann sie sich anders. Ach, zum Teufel, was soll’s. Ein kleiner Drink hat noch niemandem geschadet – was, Jungs?«
Alle stimmten ihr zu.
Sobald Eva die erste Aufregung überwunden hatte, erkannte sie, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Nach einer Weile befahl sie: »He, Jungs, geht mal da hinüber an den anderen Tisch. Ich muss mit meiner Freundin reden. Also, Schätzchen, was ist los? Du siehst aus, als hättest du deinen besten Kumpel verloren.«
Idgie leugnete, dass irgendwas nicht okay sei, bestellte einen Drink nach dem anderen und versuchte herumzualbern. Schließlich war sie ziemlich beschwipst, tanzte durch den ganzen Raum und führte sich wie eine Verrückte auf. Eva schaute ihr stumm zu.
Gegen neun wurde Idgie von Big Jack gezwungen, sich hinzusetzen und was zu essen. Um zehn hüpfte sie wieder herum. Eva wandte sich zu ihrem besorgten Daddy. »Am besten lassen wir sie in Ruhe. Sie soll tun, was sie will.«
Etwa fünf Stunden später hielt Idgie, die viele neue Freunde gefunden hatte, hof und erzählte komische Geschichten. Dann spielte jemand ein trauriges Hillbilly-Lied von einer verlorenen Liebe, und da unterbrach sie sich mitten im Satz, legte den Kopf auf den Tisch und schluchzte. Eva, inzwischen ebenfalls beschwipst, hatte die ganze Zeit an Buddy gedacht und weinte mit ihr.
Die Jungs setzten sich an einen anderen Tisch, wo es fröhlicher zuging.
Etwa um drei Uhr morgens sagte Eva: »Komm!« Sie legte einen Arm um Idgies Schultern, führte sie in ihre Hütte und brachte sie ins Bett.
Eva konnte es nicht mit ansehen, wenn jemand so schrecklich litt. Sie setzte sich auf den Bettrand neben die immer noch tränenüberströmte Idgie. »Hör mal, Süße, ich weiß nicht, warum du heulst, und es spielt auch gar keine Rolle, weil alles wieder gut wird. Beruhige dich jetzt. Du brauchst nur jemanden, der dich liebt, das ist alles. Bald wirst du dich besser fühlen … Eva ist bei dir …« Und sie knipste das Licht aus.
Von den meisten Dingen hatte sie keine Ahnung, aber mit der Liebe kannte sie sich aus.
Während der nächsten fünf Jahre wohnte Idgie die meiste Zeit am Fluss. Eva war immer da, wenn sie gebraucht wurde, so wie damals für Buddy.
T HE W EEMS W EEKLY
(W HISTLE S TOP , A LABAMA , W OCHENBLATT )
28. November 1935
E IN ECHTER F REUND
Neulich nachts warf Railroad Bill siebzehn Schinkenkeulen aus dem Zug, und wie ich hörte, feierten unsere Freunde in Troutville ein wundervolles
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