Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
noch drei Blocks vom Doktor entfernt waren: »Dr. Hadley! Dr. Hadley!«
Margaret, die Frau des Arztes, hörte sie zuerst und trat auf die Vorderveranda. Sie sah die beiden mit dem Kind um die Ecke biegen und rief nach ihrem Mann: »Komm schnell! Idgie – und Buddy jr.!«
Dr. Hadley sprang vom Tisch auf und eilte ihnen auf dem Gehsteig entgegen, die Serviette noch in der Hand. Die ließ er fallen, als er das Blut aus dem Armstumpf quellen sah. »Ins Auto! Wir müssen nach Birmingham fahren. Er braucht eine Transfusion.« Er stürmte zu seinem alten Dodge und trug seiner Frau auf, die Klinik anzurufen und dafür zu sorgen, dass alles Nötige veranlasst wurde. Sofort rannte sie ins Haus. Big George, inzwischen blutüberströmt, setzte sich mit dem Jungen in den Fond, Idgie sank auf den Beifahrersitz. Während der ganzen Fahrt redete sie auf das Kind ein und erzählte Geschichten, um es zu beruhigen, obwohl sie selbst am ganzen Körper zitterte.
Am Eingang der Notaufnahme warteten eine Krankenschwester und ein Pfleger. Bei Georges Anblick sagte die Frau zu Idgie: »Tut mir leid, Ihr Begleiter muss draußen bleiben. Nur Weiße dürfen diese Klinik betreten.«
Buddy jr., der kein Wort gesagt hatte, wurde hineingebracht und starrte den Schwarzen an, solange er ihn sehen konnte.
Immer noch mit Blut befleckt, setzte sich Big George auf eine niedere Ziegelmauer, stützte den Kopf in die Hände und wartete. Zwei Jungen mit pickeligen Gesichtern kamen vorbei, und einer rief: »Schau mal, der Nigger da war bestimmt in eine Messerstecherei verwickelt.«
Und der andere rief: »He, gehen Sie lieber in eine Niggerklinik!«
Sein schielender Freund, dem zwei Vorderzähne fehlten, spuckte auf den Boden, rückte seinen Hosenbund zurecht und stolzierte weiter.
T HE W EEMS W EEKLY
(W HISTLE S TOP , A LABAMA , W OCHENBLATT )
24. Juni 1936
T RAGÖDIE VOR DEM C AFÉ
Ich bedaure zutiefst, berichten zu müssen, dass Idgies und Ruths kleiner Junge, als er letzte Woche vor dem Café bei den Bahngleisen spielte, seinen Arm verlor. Er rannte neben einem Zug her, rutschte aus und fiel auf die Schienen. Wie der Zugführer Barney Cross erklärte, fuhr er mit einer Geschwindigkeit von vierzig Stundenmeilen.
Der Kleine liegt immer noch in Birmingham im Krankenhaus. Er hat viel Blut verloren, aber es geht ihm, den Umständen entsprechend, gut, und er soll bald nach Hause zurückkehren.
Nun haben wir dieses Jahr in Whistle Stop bereits einen Fuß, einen Arm und einen Zeigefinger verloren. Außerdem wurde ein Farbiger getötet. Diese Zwischenfälle ermahnen uns, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Wir haben’s satt, dass unsere Lieben Gliedmaßen und anderen Dinge verlieren. Und ich bin’s leid, darüber zu schreiben.
Dot Weems
P FLEGEHEIM R OSE T ERRACE
O LD M ONTGOMERY H IGHWAY , B IRMINGHAM , A LABAMA
23. Februar 1986
Mrs. Threadgoode freute sich über die Erdnussbutter, die Evelyn ihr mitgebracht hatte, und erinnerte sich wieder an jenen Lebensabschnitt, den sie anscheinend am meisten genossen hatte – die Zeit, wo noch all die Züge an ihrem Haus vorbeigefahren waren.
Aber eine Bemerkung, die sie letzte Woche gemacht hatte, interessierte Evelyn noch mehr, und ihre Neugier gewann die Oberhand. »Sie haben doch Idgies und Ruths kleinen Jungen erwähnt?«
»Oh ja – Stump. Er war ein sehr tapferer kleiner Kerl, sogar an jenem Tag, wo er seinen Arm verlor.«
»Großer Gott, was ist denn passiert?«
»Er fiel vor einen Zug und sein Arm wurde oberhalb des Ellbogens abgetrennt. In Wirklichkeit hieß er Buddy jr. Threadgoode, aber weil er dann nur mehr einen kleinen Armstumpf hatte, nannten ihn alle Stump. Cleo und ich besuchten ihn im Krankenhaus, und er war so gefasst, weinte nicht, tat sich selber kein bisschen leid. Aber Idgie hatte ihn ja auch so erzogen und ihm eingetrichtert, er müsse hart im Nehmen sein.
Sie ging zu ihrem Freund, einem Steinmetz, und bestellte ein kleines Grabmal mit der Aufschrift: ›Hier liegt Buddy jr.’s Arm, 1929–1936. Ruhe sanft, alter Kumpel.‹ Das stellte sie auf der Wiese hinter dem Café auf, und als Buddy aus dem Krankenhaus heimkam, ging sie mit ihm hin, und der Arm wurde unter großem Aufwand begraben. Alle kamen zu der Zeremonie – Onzells und Big Georges Kinder Artis, Jasper, der kleine Willie Boy und Naughty Bird und alle Nachbarkinder. Einer von den Eagle Scouts spielte Trompete.
Idgie redete den Jungen als erste mit ›Stump‹ an. Da bekam Ruth einen Wutanfall und sagte, das sei
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